Von Berliner Brachen und Beyoncé: Wo Gott kein Artdirector ist

Der Hauptstadt der BRD fehlt es an einigem: genügend Nachtapotheken, Brachen, Gott und Beyoncé. Immerhin kommt Dua Lipa zum Sommerkonzert.

Beyoncé auf einem weißen Pferd

Das Cover von Beyoncés neuem Album „Cowboy Carter“ Foto: AP

Seit Karfreitag reden alle über Beyoncé. Dass der Megastar sein neues Album ausgerechnet an Jesu Todestag veröffentlichen konnte, ist nicht dem Umstand geschuldet, dass die millionenschwere Sängerin einst Galionsfigur einer neuen Jesusbewegung war. In den USA ist der Good Friday schlicht kein landesweiter Feiertag. Trotzdem dürfte Beyoncé darauf spekuliert haben, dass „Cowboy Carter“ als österlich frohe Botschaft empfangen werden würde, zumal der erste Song auf dem Album auch noch „Ameriican Requiem“ (sic!) heißt.

Beyoncé weiß natürlich Bescheid, sie ist eine Gläubige: „Gott ist real und er lebt in mir“, bekannte sie vor Jahren. Und dass hinter jeder erfolgreichen Frau ein Gott stehen muss, ebenfalls: Als „art director“ ihres Songs „Spirit“ aus dem Film „König der Löwen“ nannte sie den Namen Gott.

In die Hauptstadt der BRD hat weder Jesus, geschweige denn Gott je einen Fuß gesetzt, und so ist es nur konsequent, dass auch Beyoncé Berlin meidet. Ihr letztes Konzert hier war 2018.

Was soll sie auch hier, in einer Gegend, in der die Suche nach einer stinknormalen Kirche mit stinknormalem Sonntagsgottesdienst so schwierig ist wie die nach einer Nachtapotheke. Endlich gefunden, hängt meist ein handgeschriebener, vom Regen verwaschener Zettel an der Tür: „Geschlossen. Nächs­te Messe/ Nachtapotheke: Halensee/ Marzahn-Hellersdorf (kein S-Bahn-Anschluss). Angabe ohne Gewähr“. Während bei Medikamentenengpässen geraten wird, beim Koks-Dealer im Park nachzufragen („Die haben allet“), liegt das religiöse Leben in dieser Stadt brach, ganz dem Raum entsprechend, der für das Nachnazi-Berlin charakteristisch war: der Brache.

Was mit den Brachen verschwand

Sieht man vom kaputten Gesamtzustand Berlins ab, ist die Innenstadt-Brache – die unbebaute Fläche, die aus zerbombten und abgerissenen Häusern entstand – inzwischen fast verschwunden. Mit der Brache verschwanden aber auch die klapprigen Baustellenzäune, schiefen Bretterverschläge und bröckelnden Restmauern, die um die leeren Flächen herum aufgestellt und da vergessen wurden.

Plakat von Dua Lipa

Zeitreise mit Dua Lipa Foto: privat

Diese jahrzehntelang bestehenden Provisorien waren für Megastars wie Politdemos der Werbeplatz schlechthin. Einer meiner früheren Tagelöhner-Jobs bestand darin, ein paar Zentimeter von der meterdicken Pappschicht abzukratzen, damit mein Kollege wieder ordentlich nachkleistern konnte. Hätte Berlin noch eine Weile länger als geteilte Stadt existiert, wären auch diese Plakatwände irgendwann als Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen worden, jede Wette. Heute muss man schon sehr aufmerksam durch die Straßen laufen, um überhaupt noch Veranstaltungsplakate zu finden. Litfaßsäulen und Bushaltestellen sind die letzten Refugien für die Plakate. Beyoncé ist in Berlin deswegen so gut wie unsichtbar. Dafür aber hat ein anderer Megastar über Ostern hier Poster aufhängen lassen: Dua Lipa.

Die Ankündigung ihres Sommerkonzerts in der Berliner Waldbühne wirkt wie eine mit wenig Mitteln auskommen müssende Werbung für ein Billo-Fitnessstudio – also grandios und ziemlich berlinerisch: Man sieht eine Frau in silbernen Stilettos, durchsichtigen lilafarbenen Strümpfen und einem engen türkisen Shirt, wie sie sich vornüberbeugt, lacht, während ihr langes dichtes Haar wie eine Löwenmähne das Gesicht bedeckt. Darüber steht hanuta-farben der Name der Künstlerin.

Wie cool, im Gegensatz zu der immer angestrengter wirkenden Zitathölle Beyoncés, die auf dem Cover ihres neuen Albums vor lauter Kunstwillen vom Pferd rutscht. Dua Lipas neues Album erscheint im Mai und heißt „Radical Optimism“. Ein Titel, der klingt, als sei er eine Idee der Werbetruppen Berlins. Denn radikalen Optimismus braucht man schon, um daran zu glauben, dass es in Berlin eine Zukunft gibt, nachdem die letzte Brache zugemacht hat. Gott wird hier nicht der Artdirector sein.

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

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