Roma in Serbien: Pioniere des Recyclings

Mülltrennung ist in Serbien kein großes Thema. Das wenige, was es an Recyclingwirtschaft gibt, stellen Roma auf die Beine.

Menschen sortieren Kleider

Sekundärmarkt für Kleidung und Trödel in Belgrad Foto: Allegra Schneider

BELGRAD taz | Recycling ist für die meisten Serben ein Fremdwort. Sie wissen zwar, was Recycling bedeutet und dass man es in manchen Ländern der Europäischen Union sehr ernst nimmt mit Mülltrennung und Wiederverwertung des Abfalls. Doch wenn die Bevölkerung etwa selbst in Belgrad keine Kanalisation hat oder in Zrenjanin in der Vojvodina seit Jahren kein Trinkwasser, dann denkt sie nicht daran, Plastik von Papier zu trennen. Und selbst wenn sie es wollte, es gibt in Serbien kein System der Mülltrennung, fast keine gesonderte Mülltonnen für verschiedene Abfallsorten, sondern nur Müllcontainer, in die man alles reinschmeißt.

Dass Einzelpersonen ihr Umweltbewusstsein überhaupt wenigstens ansatzweise in Taten umsetzen können, das haben sie den Roma zu verdanken, die im Recyclinggeschäft tätig sind. In manchen Belgrader Hochhäusern stellen die Bewohner Papier- oder Plastikmüll oder auch einmal eine kaputte Waschmaschine vor die Tür, denn sie wissen, dass ein- oder zweimal in der Woche ein „Eisenpflücker“, „Papier- oder Plastiksammler“ vorbeikommen und sie abholen wird.

Häufig rattert am Wochenende ein kleiner Traktor vorbei, und aus einem Lautsprecher schallt der Ruf durchs Viertel: „Wir sammeln Eisenware.“ Ebenso ist es ein gewohntes Bild, wie Roma aus Müllcontainern verwendbaren Müll aussortieren und auf eine Karre stellen. „In Serbien werden 87 Prozent der sekundären Rohstoffe von informellen Sammlern gesichert. Nur dank ihnen gibt es in Serbien so etwas wie eine Recyclingindustrie“, erklärt Kilino Stojkov (29) in dem Belgrader Magazin Vreme. Es gebe rund 60.000 informelle Sammler in Serbien. Er selbst komme aus einer „Sammlerfamilie“, die seit drei Generationen von diesem Geschäft lebe. Er habe eine große Ressource für die serbische Romagemeinschaft erkannt.

Und so gründete er, mit technischer Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ, im Juli 2022 im Ort Ada in der Vojvodina die Genossenschaft „Connect Clean Roma Group“. Schon im ersten Jahr sei es der Genossenschaft gelungen, ein Sammlernetz von 32 Subunternehmen und informellen Sammlern von sekundären Rohstoffen zu gründen und sie mit einigen Recyclingfirmen zu verbinden, erzählt Stojkov. Alles werde dokumentiert, und man wisse, wo der Abfall lande. Sein Ziel sei es, dass alle informellen Sammler einen offiziellen Arbeitsvertrag bekommen.

Jährlich 11 Millionen Tonnen Hausmüll

Professionelle Strukturen wären wichtig, denn das Problem ist groß: In Serbien gibt es Tausende wilde Mülldeponien. Sie verseuchen Flüsse, Wälder und Äcker. Laut dem serbischen Umweltministerium werden im Land 17,7 Prozent des Mülls wiederverwertet, Umweltorganisationen sprechen von nur 13 Prozent. Doch es ist ein Business mit großem Potenzial. Der Schnitt der Wiederverwertung des Hausmülls in der EU liegt bei rund 50 Prozent.

Jährlich produziert Serbien über 11 Millionen Tonnen Hausmüll. Der EU-Beitrittskandidat hat sich verpflichtet, auch sein System der Wiederverwertung des Mülls den europäischen Standards anzupassen. Recycling sei relativ neu in Serbien, sagt Stojkov, immer noch gehöre es zur grauen Wirtschaftszone, nicht nur was die informellen Sammler angeht, sondern auch die Wiederverwertungsindustrie. Die Landesvorschriften müssten mit den europäischen harmonisiert werden, das stehe im Kapitel 27 der Beitrittsverhandlungen, das sich mit der Umwelt beschäftigt.

Und da erkennt er die Chance für die serbische Romagemeinschaft mit ihrer Pionierrolle in der serbischen Recyclingindustrie. „Wir wollen, dass informelle Sammler Steuererleichterungen bekommen, dass sie gesundheitlich versichert werden, Teil eines großen Systems werden“, fordert Stojkov. Um das zu erreichen, müsste sich der Staat als Partner einschalten. Diesbezüglich ist Stojkov im Gespräch auch mit der europäischen Delegation in Serbien, mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und der GIZ. Das Ziel sei, ein Modell zu finden, das auch in anderen Westbalkanstaaten verwendbar wäre.

Inspirierende Erfolgsgeschichte

„Ich rede aus persönlicher Erfahrung“, sagt Stojkov. „Ich bin im Nichtregierungssektor tätig, seit ich 18 bin, die ökologische Genossenschaft ist die Krone meiner bisherigen Laufbahn.“ Mittlerweile haben sie eine eigene Maschine für das Recycling von Kabeln, Kühlern, bestimmten Komponenten von Elektro- und anderen Geräten. Fast 50 Prozent habe die UNDP finanziert, den Rest hätten sie selbst bezahlt.

Es ist eine inspirierende Erfolgsstory. Doch sie ist eine Ausnahme und darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Roma in Serbien in unhygienischen Wohnsiedlungen leben und zu einem Leben am Rande der Gesellschaft verdammt sind. Bis die Träume von Stojkov wahr werden, wird noch viel Zeit vergehen.

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