Polizeistatistik für das Jahr 2023: Kampf um die Kriminalitätszahlen

Innenministerin Faeser präsentiert die neue Kriminalstatistik. Die Zahl der Gewalttaten steigt. Die Gründe sind vielfältig.

Ein Polizeiabsperrband

Bitte gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Die polizeiliche Kriminalstatistik ist so hoch wie lange nicht. Wie sehen die Zahlen aus?

Tatsächlich bedeuten die von der Polizei im Bund und den Ländern festgestellten 5.940.667 Straftaten für das Jahr 2023 einen Anstieg um 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – den höchsten Wert seit 2017. BKA-Präsident Holger Münch und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellten die Zahlen am Dienstag vor. Erfasst wurden 2.246.767 Tatverdächtige, auch das ein Plus von 7,3 Prozent. 41 Prozent von ihnen waren „Nichtdeutsche“. Innerhalb dieser Gruppe stieg die Tatverdächtigenzahl damit um 17,8 Prozent. Auch die Zahl tatverdächtiger Kinder wuchs um 12 Prozent, die der Jugendlichen um 9,5 Prozent – auch hierunter sind diejenigen ohne deutschen Pass stark vertreten.

Vor allem die Gewaltkriminalität nahm zu: um 8,6 Prozent auf 214.099 Fälle – dem höchsten Stand seit 15 Jahren. Raubdelikte stiegen um 17,4 Prozent, Diebstähle um 10,7 Prozent, Messerangriffe um 9,7 Prozent. Auch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung wurden vermehrt registriert: plus 7 Prozent. Die Zahl schwerer Gewaltdelikte wie Mord, Totschlag oder Vergewaltigung stieg dagegen nur minimal. Immerhin: Auch die Aufklärungsquote stieg. Sie lag 2023 bei 58,4 Prozent – und damit gut ein Prozentpunkt über dem Wert von 2022.

Wichtig aber: Die Zahlen bilden die registrierten Taten ab, zu denen die Polizei ermittelte. Ob diese am Ende auch tatsächlich Straftaten waren und zu Verurteilungen führen, bleibt offen. Genauso offen bleibt, wie viele Taten begangen wurden, die nicht angezeigt oder erfasst wurden – das Dunkelfeld also.

Woran liegt der Anstieg?

Das lässt sich nicht eindeutig sagen. Eine erhöhte Zahl an Delikten kann auch bedeuten, dass hier besonders viel angezeigt oder von der Polizei genauer hingeschaut wurde. Eine Erklärung, die BKA-Präsident Münch sieht, ist das Ende der Corona-Einschränkungen. Die Menschen waren 2023 wieder mobiler – es ergaben sich wieder mehr Tatgelegenheiten, wie etwa die erhöhten Diebstähle zeigen. Das BKA geht auch davon aus, dass Jugendliche, die ohnehin mehr zu Straftaten neigen, „nachholend“ über die Stränge schlugen. Einige hätten auch mit psychischen Belastungen aus der Coronazeit zu kämpfen, was zu Straftaten führen könne.

Allerdings liegen die aktuellen Zahlen auch um 9,3 Prozent höher als im Jahr 2019, dem letzten Jahr vor der Coronapandemie. Das BKA vermutet deshalb, dass auch die Inflation inzwischen als ernstes Problem wahrgenommen werde, was Straftaten motiviere: In ökonomisch schwächeren Regionen fielen die Deliktzahlen höher aus.

Was hat es mit den nichtdeutschen Tatverdächtigen auf sich?

Tatsächlich gibt es hier einen deutlichen Anstieg. Aber: In die Statistik fallen auch ausländerrechtliche Verstöße, die nur diese Gruppe begehen kann: etwa 93.158 Fälle von „unerlaubter Einreise“ oder 187.059 von „unerlaubtem Aufenthalt“, beide sind stark angewachsen.

Aber auch ohne diese Delikte stieg der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen um 13,5 Prozent. Hier ist allerdings zu beachten, dass 2023 wesentlich mehr Menschen ohne deutschen Pass in Deutschland lebten als zuvor, was insbesondere am Krieg in der Ukraine liegt. Wo mehr „nichtdeutsche“ Personen sind, da gibt es auch mehr Straftaten aus dieser Gruppe. Zudem vereinen Geflüchtete mehrere Risikofaktoren auf sich: Sie bringen häufig Gewalterfahrungen aus dem Herkunftsland oder von der Flucht mit, leben eingeengt in Sammelunterkünften und sind ökonomisch schlechter gestellt, auch durch Arbeitsverbote.

Viele Straftaten dieser Menschen ohne deutschen Pass richten sich zudem ebenfalls gegen „Nichtdeutsche“. Setzt man diese Tatverdächtigen ins Verhältnis zur gestiegenen nichtdeutschen Bevölkerung hierzulande, fällt der Anstieg dieser Tatverdächtigen sogar niedriger aus als bei deutschen Tatverdächtigen. An dieser Stelle aber bleibt das Bild etwas unscharf. Denn eine genaue Bezugsgröße wird nicht angegeben. Die Begründung: Es lasse sich nicht genau feststellen, wie hoch der Anteil der Menschen ohne deutschen Pass in Deutschland genau sei. Denn auch Geschäftsleute, Pendler oder Touristen, die tatverdächtig werden, fallen in die Rubrik „Nichtdeutsche“.

Wie werden die Zahlen politisch eingeordnet?

Faeser erklärte, sie wolle Probleme „deutlich benennen“. Für Gewalt gebe es „null Toleranz“ und „ohne Scheu“ müsse man auch über Ausländerkriminalität sprechen. Zugleich dürfe dies aber nicht mit Ressentiments geschehen. Für Gewalt gebe es keine Rechtfertigung, so Faeser. Es brauche schnelle Verfahren, „spürbare Strafen“ und konsequentere Abschiebungen von Straftätern – wobei die zuletzt verschärften Abschieberegeln helfen würden.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärt die „illegale Migration“ dagegen bereits zum „Sicherheitsrisiko“. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) fordert eine Begrenzung der Zuwanderung, man sei „am Integrationslimit“. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) fordert konsequente Abschiebungen für ausländische Straftäter, Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) mal wieder eine „Migrationsobergrenze“. Die AfD ätzt von „importierter Kriminalität“.

Ampel-Politiker wie Sebastian Hartmann (SPD) oder Lamya Kaddor (Grüne) fordern dagegen eine konsequente Strafverfolgung – und mehr Prävention und Aufklärung. Aber auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki will über mehr Kontrolle bei der Zuwanderung diskutieren.

Was sagt die Forschung?

Kriminologen wie Tobias Singelnstein kritisieren, dass die Statistik „überinterpretiert“ werde: Sie bleibe eben eine reine Statistik über die geleistete Polizeiarbeit, bilde die tatsächliche Kriminalität nicht ab und werde politisch vorurteilsbehaftet diskutiert. Auch das BKA ist sich der Leerstellen bewusst und führte zuletzt Dunkelfeldstudien durch. Ergebnis aus dem Jahr 2022: Die meisten der 46.000 Befragten, 14 Prozent, waren im Jahr zuvor von Straftaten im Internet betroffen. Nur knapp ein Fünftel dieser Straftaten wurde aber angezeigt.

Der Text wurde um 16 Uhr aktualisiert

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