„Wollen Demos Festival­charakter verleihen“

Vor den Europawahlen will ein breites Bündnis die Proteste gegen rechts neu beleben. Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz erklärt im Gespräch, wie das gelingen soll

Interview Katharina Schipkowski

taz: Herr Bautz, was hilft gegen rechts?

Christoph Bautz: Auf die Straße zu gehen hilft, das haben wir Anfang des Jahres sehr deutlich gesehen. Hunderttausende haben nach der Correctiv-Recherche klargemacht, dass sie nicht wollen, dass die AfD immer mächtiger wird. Sie wollen unsere Demokratie verteidigen – und das hat sich gelohnt. Die AfD ist in den Umfragen ganz schön eingebrochen.

Warum ist aus den Protesten keine nachhaltige Bewegung gewachsen?

Es ist klar, dass man nicht über einen langen Zeitraum jeden Tag demonstrieren kann. Aber ich denke schon, dass bei vielen was in Bewegung gekommen ist und wir nachhaltige Erfolge erzielt haben. Zum Beispiel, dass die Desiderius-Erasmus-Stiftung der AfD keine Finanzmittel der öffentlichen Hand bekommt. Oder dass das rechte Compact-Magazin bei sämtlichen Bahnhofskiosken ausgelistet wurde.

Gibt es, abgesehen von diesen punktuellen Erfolgen, einen Stimmungsumschwung gegen die AfD?

Ich glaube ja. Ich war am vergangenen Wochenende in dem kleinen niedersächsischen Dorf Unterlüß, beim Protest gegen den Landesparteitag der AfD. Da waren 3.000 Menschen auf der Straße! Da hatte ich schon das Gefühl, die Welle geht weiter. Zentral dafür ist, dass wir uns als geeinte De­mo­kra­t*in­nen den Rechtsextremen entgegenstellen und die Proteste nicht mit anderen Themen überladen, damit sie in der Breite der Bevölkerung anschlussfähig bleiben.

Allerdings wird der Protest so inhaltlich unscharf. Ein strategischer Fehler?

Das Vorhaben Zwischen dem 23. Mai und dem 8. Juni plant Campact zusammen mit weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen eine bundesweite Demonstrationswelle. Das verkündete das Bündnis am Mittwoch.

Die Orte Geplant sind Demos unter anderem in Leipzig, Stuttgart, Berlin, München, Frankfurt am Main, Köln und Hamburg sowie in vielen kleineren Orten, um den Stimmenzuwachs rechtsextremer Parteien zu stoppen.

Die Zielgruppe Das Bündnis möchte möglichst viele Bür­ger:innen davon überzeugen, zur Europawahl am 9. Juni zu gehen. Vor allem Erst­wähler:innen ab 16 Jahren sollen motiviert werden, explizit demokratische Parteien zu wählen. (epd)

Wir müssen klar formulieren, was wir von der Regierung wollen. Es muss geprüft werden, ob die AfD verboten werden soll, zumindest in den Bundesländern, wo sie vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird. Natürlich appellieren wir auch an die Ampel, keine Politik zu betreiben, die den sozialen Zusammenhalt im Land kaputt spart. Wir müssen in die öffentliche Infrastruktur und die Daseinsvorsorge investieren. Dann finden die Leute auch Halt in der Politik und haben das Gefühl, der Staat tut was für sie.

Haben die Demos die Ampel denn klar genug adressiert?

Der Rückgang der Zustimmung zur AfD zeigt, dass die Strategie richtig war. Aber natürlich müssen wir uns auf eine jahrelange Auseinandersetzung einstellen. Und wir müssen uns kritisch fragen: Was haben wir als progressive Linke falsch gemacht?

Was würden Sie antworten?

Vielleicht haben wir zu wenig Verständnis aufgebracht für das, was die Leute im Alltag beschäftigt. Wir reden oft sehr abstrakt über die sozialökologische Transformation. Im entscheidenden Moment, etwa als das Heizungsgesetz kam, hatten wir nicht die richtigen Botschaften parat. Man hätte vermitteln müssen: „Niemand kommt in eure Keller und reißt die Gas- und Ölheizung raus – wenn eine Heizung kaputtgeht und kein Geld da ist, gibt es 70 Prozent Förderung für die Wärmepumpe! Niemand lässt euch im Regen stehen.“

Zur Europawahl und zu den Kommunalwahlen im Juni wollen Sie den Schwung der Bewegung gegen rechts wieder entfachen. Wie?

Nie wieder ist jetzt (bald wieder?):  De­mons­tran­t*in­nen gegen rechts in März in Lübbecke Foto: Noah Wedel/imago

Es braucht einen neuen Anlass, und den gibt es mit den Wahlen. Für die AfD ist diese Europawahl enorm wichtig. Sie will das europäische Einigungsprojekt zerstören und damit die historische Antwort auf den Faschismus und auf viele Jahrhunderte der Kriege. Die AfD möchte ein Europa der nationalen Egoismen errichten. Da müssen wir gegenhalten. Wir wollen, dass jeder Demokrat und jede Demokratin auf die Straßen geht, seine Mit­bür­ge­r*in­nen aufrüttelt, und dann an die Wahlurnen geht.

Meinen Sie nicht, dass die Menschen, die auf eine Demo gehen, ohnehin wählen gehen?

Ja, klar. Die Menschen, die auf die Demos kommen, sollen als Mul­ti­pli­ka­to­r*in­nen in ihren Bekanntenkreis hineinwirken. Wir haben drei Wäh­le­r*in­nen­grup­pen identifiziert, an die wir uns besonders richten. Die einen sind die „Stay-at-home-Democrats“, also Menschen, die überlegen, den 9. Juni lieber am Baggersee zu verbringen. Die denken, so wichtig sei das doch nicht, und nehmen sich vor, bei der Bundestagswahl wieder hinzugehen. Denen wollen wir klarmachen: Nein, diese Wahl ist total wichtig!

Und die anderen Gruppen?

Die zweiten sind die „Switcher“, also Leute, die das letzte Mal noch demokratisch gewählt haben und diesmal überlegen, AfD zu wählen. Denen ist nicht klar, wie rechtsradikal die gesamte Partei mittlerweile ist. Die dritte Gruppe sind die Erstwähler*innen, von denen es ja dieses Mal besonders viele gibt, weil das Mindestalter auf 16 herabgesetzt wurde. Das sind sieben Jahrgänge, die sich kaum noch bei klassischen Medien informieren, sondern nur noch auf Tiktok, Instagram und Youtube.

Foto: Campact

Christoph Bautz

51, Biologe und Politikwissenschaftler. Nach dem Studium baute er die Geschäftsstelle von Attac Deutschland mit auf. Er ist Mitinitiator der Kampagnen­organisation Campact, deren Geschäftsführer er seit 2004 ist.

Wie wollen Sie die erreichen?

Wir wollen den Demos Festivalcharakter verleihen, indem sich nicht Redebeitrag an Redebeitrag reiht, sondern viele Künst­le­r*in­nen auf den Bühnen stehen. Die richten sich dann ja auch an ihre Social-Media-Follower und die wiederum verbreiten die Botschaft weiter.

Sie haben Tiktok-Stars für die Demos engagiert?

Wir sind gerade in den Absprachen, es melden sich auch viele Künst­le­r*in­nen von sich aus und fragen, was sie tun können. Wir alle haben Tiktok viel zu lange der AfD überlassen. Die gesamte progressive Linke hat Tiktok verschlafen. Jetzt müssen wir vor der Europawahl, und auch mit Perspektive auf die Bundestagswahl, Tiktok zurückerobern. Das ist nicht einfach, weil der Algorithmus dort Alarmismus und Lügen belohnt, wir aber bei den Fakten bleiben wollen. Aber wir müssen zusehen, dass wir dort Widerspruch organisieren und den Rechtsextremen eigene Inhalte entgegensetzen.