Wahlkampf­auftakt ohne Krah

Maximilian Krah bleibt trotz Spionagefall AfD-Spitzenkandidat. Nur auftreten darf er vorerst nicht

Von Gareth Joswig

„Mein Rücktritt geschah aus Respekt vor den ungeschriebenen Regeln der Demokratie und auch, um meine persönliche und politische Integrität nicht zerstören zu lassen“, hat Maximilian Krah nicht gesagt. Nein, das ist ein Zitat des Bundeskanzlers Willy Brandt, der nach seiner Spionage-Affäre zurückgetreten war, die sich am Mittwoch auf den Tag genau zum 50. Mal gejährt hat – am 24. April 1974 wurde Günter Guillaume enttarnt, der DDR-Spion im Kanzleramt.

Ein deutlich weniger gesundes Verhältnis zu politischem Anstand hat der extrem rechte AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, angesichts seines eigenen Spionage-Skandals. Er wurde von seinen Parteivorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla zwar für ein Krisengespräch für Mittwochfrüh nach Berlin zitiert, gab sich aber bereits am Dienstagabend bei seiner Ankunft in Berlin demonstrativ gelassen und sagte: „Ich werde jetzt nicht für das vermeintliche Fehlverhalten meines Mitarbeiters in Sack und Asche gehen.“

Tatsächlich sind die Vorwürfe schwerwiegend: Krahs Mitarbeiter Jian G. wurde am Montag festgenommen und am Dienstag dem Ermittlungsrichter vorgeführt. Der hat einen Haftbefehl erlassen und Untersuchungshaft angeordnet. Die Vorwürfe des Generalbundesanwalts lauten: Agententätigkeit für einen chinesischen Geheimdienst in einem besonders schweren Fall. G. soll Informationen über Verhandlungen im Europäischen Parlament weitergegeben und chinesische Oppositionelle in Deutschland ausgespäht haben.

Schon vorher gab es viel innerparteiliche Kritik am provokanten Wahlkampf von Krah, auch aus der Parteispitze. Mit einer Spionage­affäre ist das Maß nun aber offenbar voll: Ernste Gespräche mit den Mitarbeitern von Chrupalla und Weidel sowie den Parteivorsitzenden am Dienstagabend und am Mittwochmorgen sind nach taz-Informationen teils sehr laut geworden.

Der Wunsch der Parteiführung: Nach der Festnahme des Krah-Mitarbeiters Jian G. soll der AfD-Politiker beim Europawahlkampf generell in die zweite Reihe treten. Krah soll allerdings uneinsichtig gewesen sein. Das Ergebnis nach dem Gespräch: Er bleibt Spitzenkandidat, erscheint aber erst mal nicht auf Wahlplakaten, Werbematerial und in AfD-Videos – und soll medial weniger aktiv sein.

In einer danach am Dienstagvormittag verschickten Stellungnahme sprachen Weidel und Chrupalla von „schwerwiegenden Spionagevorwürfen“ und „Rufschädigung“ für die Partei. Um den Wahlkampf nicht zu belasten, habe Krah entschieden, am bevorstehenden Wahlkampfauftakt in Donaueschingen nicht teilzunehmen, sowie seinen Mitarbeiter sofort zu entlassen. Weidel und Chrupalla sagten: „Jegliche Einflussnahmen fremder Staaten durch Spionage, aber auch der Versuch, Meinungen und Positionen zu kaufen, müssen aufgeklärt und mit aller Härte unterbunden werden.“

Dass Krah mit der Einigung nicht sonderlich zufrieden war, konnte man deutlich erkennen, als er sich nach dem Gespräch mit Weidel vorm Bundestag der Presse erklärte: „Wenn Sie glauben, das sei das Ende meiner Spitzenkandidatur, muss ich Sie leider enttäuschen: Ich bin und bleibe Spitzenkandidat“, sagte Krah, „der Wahlkampf wird jetzt natürlich durch diese Angelegenheit furchtbar überschattet.“

Aber Krah sagte auch: „Ich habe mir kein persönliches Fehlverhalten vorzuwerfen.“ In seinem Büro sei offenbar eine Straftat begangen worden, er behauptete, größtes Interesse an Aufklärung zu haben, und wolle rekonstruieren, woran Jian G. gearbeitet habe – „aber es ist eben nicht so, dass ich es getan habe“, sagte er.

Überraschend kommt die Spionageaffäre für niemanden. Im Europaparlament war Krah für seine Chinafreundlichkeit bekannt. Ebenso hat sich Krah selbst bemerkenswert häufig chinesischer Propaganda und Narrativen angedient. Nicht nur als er teils auf Kosten chinesischer Konzerne und der Partei nach China reiste, sondern auch als er Internierungslager für Uiguren als „Gruselgeschichten“ verharmloste oder im Bundestag für den 5G-Ausbau von Huawei warb.

Im Laufe des Mittwochs äußerte sich auch der aktuelle Bundeskanzler Olaf Scholz zu den Spionage-Vorwürfen gegen Krah: „Das, was wir da erfahren haben, das finde ich sehr, sehr, sehr besorgniserregend.“ Willy Brandt hätte es ähnlich gesehen.

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