Der mutige Kampf der Opfer

Ingrid Strobls Interviewfilm „Mir zeyen do! Der Ghettoaufstand und die PartisanInnen von Białystok“ im Metropolis

Die ermordeten und überlebenden Juden und Jüdinnen waren und sind – mal ausdrücklich, mal indirekt – immer wieder Ziel des Vorwurfs, sich gegen die Vernichtung nicht gewehrt zu haben. Die „Wie Lämmer zur Schlachtbank“-Metapher ist deshalb so perfide, weil sie die Ermordeten nochmals ihrer Würde beraubt und die Überlebenden für ihr vermeintliches „Nichtstun“ moralisch abqualifiziert, ihr Überleben mit einer doppelten Schuld belegt.

Woher aber rühren Latenz und Zweck des „Lämmervorwurfs“? Neben der ideologischen Funktionalisierung im Sinne eines „Wer sich nicht wehrt, ist auch nicht lebenswert“, der von den Tätern zudem eine rassistische Komponente eingeschrieben wurde scheint fürs Täterkollektiv auch zu gelten, dass jedweder Vorwurf an die Opfer zugleich die Vorwürfe an die eigene Adresse relativiert.

Diese doppelte Negation, die erstens vernichtet und zweitens auch noch vorwirft, dass das Vernichten so leicht geht, wird zudem durch das verfügbare Bildarsenal gestützt: Während die Mörder ihre Taten mit vielen Fotos und Filmen dokumentierten, existieren – wenig überraschend – keine Bilddokumente jüdischen Widerstands. Zwar widmete die US-Fernsehserie Holocaust dem jüdischen Widerstand viel Raum, doch deutsche Produktionen können mit Vergleichbarem nicht aufwarten. Für eine Befassung mit kämpfenden Opfern war kein Platz in der deutschen Bewältigungskultur von Schuldabwehr, Identifikation mit dem unschuldigen Opfer oder verständnisvoller Tätereinfühlung.

Der Autorin und Filmemacherin Ingrid Strobl gebührt das Verdienst, den jüdischen Widerstand aus diesem historischen Nirwana hervorgeholt zu haben. Strobl, die wegen des Kaufs eines Weckers, der den Revolutionären Zellen bei einem Anschlag als Zündzeitverzögerer diente, der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt war, realisierte den Film Mir zeynen do! zwei Jahre nach ihrer Haftentlassung 1990.

Drei ehemalige Widerstandskämpferinnen aus dem ostpolnischen Białystok hat Strobl hierfür in Israel aufgespürt. Sie gehörten zu einer Gruppe von sechs jungen jüdischen Frauen, den so genannten „Mejdalach“ (=Mädchen). Mit polnischen Identitäten versehen, fungierten sie als Schnittstelle sowohl zwischen Ghetto und Stadt als auch zwischen Ghetto/Stadt und den Partisanen in den Wäldern. Waffen, Medikamente, Lebensmittel etc. waren zu besorgen und Informationen zu übermitteln.

Białystok hatte vor dem Krieg zirka 120.000 Einwohner, die Hälfte von ihnen waren Juden. Schon im Zuge der ersten Deportation von Ghettobewohnern kam es zu spontanen Widerstandshandlungen. Als im August 1943 das Ghetto liquidiert werden sollte, nahmen einige hundert Bewohner den Kampf auf. Bis der letzte Widerstand gebrochen war, vergingen Tage. Die wenigen, die fliehen können, schlossen sich den Partisanen an.

Angesichts der Leerstelle, die die filmische Nicht-Dokumentierung der Aktionen des Widerstands hinterlässt, bleiben nur Mittel der Darstellung, die nicht eigentlich die Stärke der Kinematografie ausmachen: Interviews, Erzähler, Fotos, Dokumente und Ortsbesichtigungen. Das Wichtigste aber sind die Berichte der Überlebenden. Und diese drei Frauen haben eine Menge zu erzählen. Sie berichten in Jiddisch und Englisch von ihren Taten und Ängsten, von Konflikten und Widersprüchen im Judenrat, von Kameradinnen und Helfern und auch von einzelnen Deutschen, die ihren Widerstand unterstützten. Und so sind es diese eindringlichen Schilderungen der überlebenden „Mejdalach“, die die Sprödigkeit der Bilder überlagern und vergessen lassen. Tim Gallwitz

So, 27.2., 16 Uhr, Metropolis