Kein Vorrang für Autoverkehr

Unsicherer Radweg: Hamburger Radler klagt in Berlin erfolgreich auf Überprüfung der Benutzungspflicht. Jetzt rechnet er mit vielen Nachahmern an der Elbe. Gericht: Hohe Verkehrsdichte in Großstädten nicht untypisch und daher kein Argument

von GERNOT KNÖDLER

Der Hamburger Alltagsradler Frank Bokelmann hat vor dem Verwaltungsgericht Berlin einen Erfolg im Kampf gegen die Benutzungspflicht für schlechte Radwege errungen, der Radler in Hamburg zu ähnlichen Klagen veranlassen dürfte. Denn das Gericht machte zum einen klar, dass sich die Behörden nicht mit dem Hinweis herausreden können, die betreffenden Radwege seien ja schon seit Jahren benutzungspflichtig. Zum anderen könne die Benutzungspflicht auch an Hauptverkehrsstraßen aufgehoben werden.

Wer Bokelmanns Fahrrad sieht, der weiß: Dieser Mann meint es ernst mit dem Fahrradfahren. Hydraulik-Bremsen, Ellipsoid-Scheinwerfer, gekapselte Kette – eine Ausstattung, die das Radeln sicher, sauber und bequem macht. „Ich habe mein Auto abgeschafft, weil mir die Parkplatzsuche zu blöd war“, sagt Bokelmann.

Trotzdem möchte er schnell und sicher fahren. Auf dem Radweg am Spandauer Damm, den er als führerer Berliner und heutiger Berlin-Besucher kennt, ist das nicht möglich: Unmittelbar neben dem schmalen Radweg parken Reisebusse und Autos. Jeden Augenblick muss der Radler gewärtigen, dass eine Tür aufgerissen wird oder ein Busspassagier auf den Radweg tapst.

Auszuweichen ist schwierig, weil zum Fußweg hin Laternenpfähle, Schaltkästen und geparkte Motorroller stehen. In Hamburg gibt es viele ähnliche Beispiele, etwa in der Wentorfer Straße in Bergedorf oder in der Kieler Straße in Altona (Foto), wo die Autos auf dem Gehsteig direkt neben dem Radweg parken. Geht eine Autotür auf oder parkt einer schief, muss der Radler auf den Sicherheitsstreifen zur Fahrbahn hin ausweichen.

Weil ihm das Fahren auf solchen Radwegen gefährlicher vorkam als auf der Straße, beantragte Bokelmann die Überprüfung der Benutzungspflicht. Hintergrund ist die 1998 in Kraft getretene Novelle der Straßenverkehrsordnung, die die Benutzungspflicht grundsätzlich aufhob. Die Behörden stellten daraufhin an vielen Radwegen blaue Schilder auf, die sie im Einzelfall wiederherstellten.

Die Berliner Behörde lehnte Bokelmanns Antrag ab. Seinen Anfang 2003 eingelegten Widerspruch bügelte das Polizeipräsidium ab: Er komme zu spät. Schließlich sei die Benutzungspflicht im Einzelfall bereits 1998 angeordnet worden. Falsch, beschied das Gericht: Bokelmann habe eine Überprüfung der Verkehrssituation 2002 beantragt, nicht nur die alte Benutzungspflicht angefochten. Dem Bescheid habe Bokelmann fristgerecht widersprochen.

Inhaltlich argumentierte das Gericht, eine Radwegebenutzungspflicht setze voraus, „dass eine konkrete, über das ortsüblich Hinzunehmende erheblich hinausgehende Gefährdung von Radfahrern vorliegt“ und deren Anordnung zum Schutz der Radler geeignet sei. Die starke Verkehrsbelastung des Spandauer Damms auch durch Laster sei jedoch für eine Großstadt keinesfalls atypisch. Und mit der Behinderung des Autoverkehrs auf dieser Hauptstraße dürfe die Stadt nicht argumentieren: „Der Leichtigkeit des motorisierten Verkehrs darf gegenüber der Sicherheit von Radfahrern kein Vorrang eingeräumt werden.“

Deren Sicherheit sei auf dem Radweg nicht gewährleistet, wie die von der Polizei vorgelegte Unfallstatistik zeige. 32 von 96 Unfällen, an denen Radfahrer zwischen April und Dezember 1999 auf dem betreffenden Radweg beteiligt waren, seien allein durch rechtsabbiegende Autos verursacht worden. Überdies sei der Radweg zu schmal.