Der Tag der Arbeit in der Krise

1. MAI Die Proteste zum Tag der Arbeit sind bunt, laut und vielfältig, aber wenig politisch. Die Demonstranten wollen „feiern und demonstrieren“ – oder auch randalieren

„Ich möchte ein Gummibärchen sein“ steht auf dem Plakat eines Teilnehmers der Mayday-Demo

VON SVENJA BERGT

Der Mann mit der Nelke im Knopfloch, der am S-Bahnhof Köpenick steht, hat klare Prioritäten: Er werde heute nicht zur Großdemonstration der Gewerkschaften gehen; vielmehr sei er aus dem Süden Berlins direkt in den tiefsten Südosten gefahren – zu den Protesten gegen eine Veranstaltung der NPD, die vor ihrer Parteizentrale zu einem Straßenfest nebst Kundgebung aufgerufen hat. „Hier kann man wenigstens noch etwas bewegen“, erklärt er. Als zu ihm durchdringt, dass eine Hundertschaft Antifas den Bahnhof besetzt hat, die S-Bahn daraufhin den Verkehr einstellte und per Bahn anreisende Rechtsradikale nicht zu ihren Festivitäten gelangen, klatscht er. Trotzdem: Ein „Tag der Arbeit“-Flair fehle ihm.

Antifas, die Forderung vom Präsidenten des Abgeordnetenhauses Walter Momper (SPD) nach einem NPD-Verbot – alles ist hier in Köpenick wie bei einer ganz beliebigen Demo gegen die NPD. Keine Verbindung zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit.

Wenige Stunden später auf dem Bebelplatz soll mit der Mayday-Parade zwar eine 1.-Mai-Demo starten – die sich aber schnell als weitgehend unpolitisch entpuppt. Das beginnt schon bei der Teilnehmer-Bespaßung: Plakate malen, Seifenblasen pusten, Frisbees durch die Luft werfen, Erinnerungsfotos schießen.

Bevor der Demozug losläuft, studieren die Teilnehmer eine Choreografie ein, vorgetanzt von einer Dame in goldener Glitzerjacke, mit hell blondierten Haaren, die jedem Aerobic-Kurs Ehre machen würde. „Klar ist das hier ein Event. Aber wenn ich schon einen Tag frei habe, will ich auch Spaß haben“, sagt eine Studentin, die zur Musik ihren Schirm auf- und zuklappt. Politische Aspekte ließen sich schließlich „so mitnehmen“. Als sich der Zug in Bewegung setzt, geht der Redebeitrag über den Bildungsstreik in den Beats der beiden Technowagen unter. „Wir wollen zusammen feiern und demonstrieren“, schreit die Moderatorin ins Mikro. Ein Demonstrant trägt auf seinem gemalten Plakat den Spruch „Ich möchte ein Gummibärchen sein“.

„Wann gibt es mal wieder richtig Riots“, tönt es aus dem Demowagen, als am Kottbusser Tor die zweite der beiden „Revolutionärer 1. Mai“-Demos beginnt. „Mit Steinen, wie es früher einmal war“, grölen zwei angetrunkene Demonstranten. Eine Stunde später knallt es dann tatsächlich.

Wer sich am 1. Mai auf die Suche nach einer Veranstaltung machte, in der Demonstrieren vor Feiern stand und die nicht an jedem beliebigen Tag des Jahres in genau dieser Form hätte stattfinden können, wurde ausgerechnet bei einer Veranstaltung fündig, die von allen Seiten belächelt wird: der ersten der beiden „Revolutionäre 1. Mai“-Demonstrationen. Sie zog mit einem kleinen Häufchen von rund 250 Menschen mittags durch Kreuzberg und Neukölln. Mit dabei waren unterschiedlichste Splittergruppen, die sich im weitesten Sinne als kommunistisch bezeichnen lassen. Flyer waren stets mindestens zweisprachig verfasst; die Musik schallte in ausgewogener Abwechslung aus den Lautsprechern, nicht nur was das Genre, sondern auch die Herkunft der Interpreten angeht. Und die Reden erklangen mindestens auf Türkisch und Deutsch.

Die klassischen Themen von Arbeit bis Unterdrückung waren genauso dabei wie aktuelle: Gleichberechtigung und Wirtschaftskrise. Konsequenterweise wurden die eigenen Forderungen gleich umgesetzt: Bei den Dankesreden für die Vorbereiter der Veranstaltung standen nicht die Flyer-Verteiler oder Plakate-Maler an erster Stelle. Sondern die Menschen, die sich um die Kinder der Beteiligten kümmerten – und somit immerhin eine politische Demo ermöglicht haben.