„Wir brauchen mehr Mitbestimmung“, sagt Heinz-Josef Bontrup

Die Mitbestimmung ist kein Auslaufmodell – auch wenn EU-Gläubige und manche Unternehmer das gerne hätten

taz: Herr Bontrup, Gewerkschaften und Arbeitgeber streiten sich über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Aufsichtsräten. Kann man sich diese aufgeregte Debatte nicht sparen?

Heinz-Josef Bontrup: Wieso?

Weil die EU jetzt die Europa-AG einführt. Diese Unternehmensform sieht sowieso keine Aufsichtsräte mehr vor.

Der Kampf dreht sich um das Anpassungsgesetz, das der Bundestag verabschieden muss, um das Europarecht in nationales Recht zu gießen. Bisher ist vorgesehen, dass sich mitbestimmte Firmen nur zur Europa-AG umwandeln können, wenn es eine Verhandlungslösung mit den Gewerkschaften gibt. Das wollen Hardliner wie BDI-Chef Rogowski verhindern.

Wird Rogowski damit Erfolg haben?

Das Lager der Arbeitgeber ist deutlich gespalten. Es gibt auch viele Firmenchefs, die der Mitbestimmung wohlwollend gegenüberstehen – solange sie ökonomisch effizient ist, weil die betriebliche Kommunikation dadurch viel besser funktioniert.

Klappt die Kommunikation nicht zu gut? Kritiker der Mitbestimmung bemängeln, dass es oft zu faulen Kompromissen kommt – weil Kapitalvertreter und Arbeitnehmervertreter den Konflikt im Aufsichtsrat scheuen.

Natürlich strebt man Kompromisse an und keinen Dissens, sonst könnte der Aufsichtsrat seine Arbeit ja einstellen. Doch ein Kompromiss hat ungeahnte Vorteile – damit können die Betriebskosten ganz wesentlich gesenkt werden, weil Chefs und Angestellte miteinander und nicht gegeneinander arbeiten.

Aber es kommen auch solche Kompromisse wie bei Mannesmann heraus, wo die Gewerkschaftsvertreter nicht gegen die millionenschweren Abfindungen für die Manager gestimmt haben.

Das hat jedoch eher damit zu tun, dass es bisher nur eine Scheinmitbestimmung gibt! Im Zweifel können die Kapitalvertreter die Arbeitnehmervertreter stets überstimmen, weil der Vorsitzende immer die Aktionäre vertritt und doppeltes Stimmrecht besitzt. Daher fragen sich die Arbeitnehmervertreter natürlich: Lohnt sich der Konflikt überhaupt? Häufig geben sie dann nach, um den Betriebsfrieden nicht unnötig zu belasten.

Also besser mehr Mitbestimmung?

Ja. Die Montan-Mitbestimmung sollte in allen Kapitalgesellschaften gelten, die mehr als 1.000 Beschäftigte haben. Dann hätten nicht mehr die Kapitalvertreter die automatische Mehrheit, sondern es gäbe ein neutrales Aufsichtsratsmitglied, das im Zweifel entscheiden würde.

Ist das nicht ein Anschlag auf den Standort Deutschland? Schon jetzt klagen Kritiker, dass ausländische Unternehmen hier nicht investieren, weil sie die Mitbestimmung fürchten.

Diese Behauptung ist beliebt, aber empirisch absolut nicht belegt. Alle internationalen Großkonzerne haben Tochtergesellschaften in Deutschland.

Und was ist mit grenzüberschreitenden Fusionen? Aventis soll seinen Firmensitz nach Straßburg verlegt haben, um die deutsche Mitbestimmung zu umgehen.

Ideologisch verblendete Hardliner wird es immer geben. Diese Unternehmer werden jedes Schlupfloch nutzen.

Aber hat Ihre Forderung überhaupt eine Chance? Wie soll es je eine verschärfte Mitbestimmung geben, wenn die Europäische Union gleichzeitig mit Einführung der Europa-AG die Aufsichtsräte abschafft?

Auch EU-Entscheidungen sind nicht gottgegeben, obwohl das in Deutschland gern so dargestellt wird. Das muss man verhandeln.

Was halten Sie denn von dem Vorschlag des Grünen Fritz Kuhn, auch Verbrauchervertreter in die Aufsichtsräte zu entsenden?

Gar nichts. Das ist völlig überflüssig und würde die Unternehmen unnötig überfrachten. Die Firmen müssen ihre Kunden doch sowieso berücksichtigen, sonst können sie gleich mangels Nachfrage schließen. Wenn überhaupt, dann ist Umweltschutz ein Thema, das innerhalb der Betriebe zu wenig beachtet wird. Aber das regelt man besser über einheitliche Gesetze, anstatt in jeden Aufsichtsrat einen Vertreter der Naturschutzverbände zu entsenden. Der Aufsichtsrat sollte sich auf die Kontrolle der individuellen betrieblichen Belange beschränken.

Stichwort Kontrolle: Leidet Deutschland nicht vielleicht an einem Kontrollwahn? In den USA oder Großbritannien kommt man ohne Mitbestimmung und auch ohne Aufsichtsräte aus – trotzdem geht es den Unternehmen dort nicht schlechter.

Man darf die Debatte nicht auf ökonomische Effizienzkriterien verkürzen. Es ist eine Frage der Demokratie – die Mitbestimmung müsste Verfassungsrang haben. Es geht um das Recht der Beschäftigten, sich einzubringen. Menschen wollen mitreden und über ihr Schicksal selbst bestimmen.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN