Mehr Freiheit für die Justiz

Staatsanwälte fordern, das Weisungsrecht der deutschen Justizminister völlig abzuschaffen

aus Freiburg CHRISTIAN RATH

Regierungskriminalität könnte besser aufgeklärt werden, so glaubt der Deutsche Richterbund, wenn die Staatsanwaltschaften von der Politik unabhängig wären. Der Verband hat deshalb am Wochenende einen Gesetzentwurf vorgestellt, mit dem das Weisungsrecht der Ministerien weitgehend abgeschafft würde. Zulässig wären nur noch allgemeine Vorgaben, etwa zur Behandlung von Ladendiebstählen oder von Drogendelikten.

Offiziell ist die Weste der Justizminister ziemlich sauber. Schriftliche Weisungen an eine ermittelnde Staatsanwaltschaft sind sehr selten. Stolz erklärte etwa am Wochenende die Stuttgarter Ministerin Corinna Werwigk-Hertneck (FDP): „In Baden-Württemberg ist seit zehn Jahren keine Einzelweisung mehr erteilt worden.“

Doch die im Richterbund organisierten Staatsanwälte sehen darin ein Indiz für „vorauseilenden Gehorsam“ ihrer Kollegen. „Weil das Weisungsrecht immer im Raume steht, kann informell Einfluss genommen werden“, erläutert der Freiburger Oberstaatsanwalt Christoph Frank, zugleich Vizechef des Richterbundes.

Einfallstor für die Einflussnahme sind die Berichtspflichten der Staatsanwaltschaft. So müssen die Ankläger in allen wichtigen Fällen ihrem jeweiligen Justizministerium mitteilen, ob sie Anklage erheben oder das Verfahren einstellen wollen. Wenn der Minister anderer Meinung ist, dann kann er intervenieren.

Für diese Einflussmöglichkeit gibt es allerdings eine gute Rechtfertigung. Schließlich muss sich ein Justizminister vor dem Parlament für das Handeln seiner Staatsanwaltschaft rechtfertigen. Künftig müsste er bei umstrittenen Entscheidungen mit den Achseln zucken und könnte nur auf die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft hinweisen.

Für Christoph Frank ist das kein Problem: „Die Staatsanwaltschaft ist keine Verwaltungsbehörde. Sie ist Teil der Justiz und ähnelt mit ihrem der Objektivität verpflichteten Ermittlungsauftrag den Gerichten.“ Und diese unterliegen bekanntlich auch keiner parlamentarischen Kontrolle.

Ganz so unabhängig wie Richter sollen Staatsanwälte freilich auch nicht werden. Das interne Weisungsrecht der Vorgesetzten bliebe bestehen. „Diese Aufsicht sichert eine hohe Qualität bei der Anwendung des Rechts“, argumentiert Frank.

Allerdings kommt die Blockade von heiklen Ermittlungen nicht immer von außen. So fühlten sich zum Beispiel die Augsburger Staatsanwälte bei ihren Nachforschungen zum CDU-Spendenskandal vor allem durch den bayerischen Generalstaatsanwalt Hermann Froschauer behindert. Froschauer hatte eine Vorladung von Exkanzler Helmut Kohl und eine Durchsuchung der CDU-Zentrale verhindert. Solche Einflussmöglichkeiten blieben auch nach der vom Richterbund vorgeschlagenen Reform bestehen.

Ein anderer wichtiger Punkt des Gesetzentwurfs: Die Chefankläger in Bund und Ländern sollen keine politischen Beamten mehr sein und damit auch nicht mehr jederzeit von der Politik entlassen werden können. Mit dieser Forderung will der Richterbund vor allem dem Generalbundesanwalt Kay Nehm mehr Freiraum verschaffen, denn in den Ländern sitzen nur noch die Generalstaatsanwälte von Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Schleswig-Holstein auf einem solchen Schleudersitz.

Die Vorschläge des Richterbundes sollen über eine Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes umgesetzt werden. Die Novellierung dieses Bundesgesetzes würde zugleich auch in allen Bundesländern Wirkung zeigen. Fraglich ist aber, ob Bundesministerin Brigitte Zypries (SPD) gerne auf Einfluss und Verantwortung verzichtet.