Geballte Stimmung in der Kurve

Leidenschaft oder Entertainment? Unter den Fans des SV Werder gibt es einen Interessenkonflikt, der typisch ist für die deutsche Fußball-Kultur

Neueste Idee ist eine Lautsprecher-Anlage, die die Fan-Gesänge vorgeben soll

Weserstadion, Stehplatz-Tribüne Ostkurve. Kurz vor dem Anpfiff des Spiels Werder gegen Bayern. Eine riesige Fahne beginnt, sich von der unteren Seite der Tribüne über die Köpfe der Fans auf den ganzen Block auszubreiten. Schließlich ist darauf zu lesen: „Leidenschaft hat einen Namen – Eastside“. Die „Eastside“ ist eine Fan-Gruppierung des SV Werder, die sich um opulente Stadion-Inszenierungen kümmert – neben Gruppierungen wie dem „Ultra Team Bremen“ oder dem politisch engagierten antirassistischen „Cercle d‘ Amis“.

Viele Fans der „Eastside“ sind nicht nur Fans, sondern „Ultras“ – eine vereinsübergreifende Fanbewegung, die die effektvolle Inszenierung im Stadion nach vorne bringen will. Die so genannten „Choreographien“ der Bremer Ultras von der „Eastside“ lassen sich sehen. Doch insgesamt fällt in der Ostkurve der „Support“ oft eher mau aus: Während sich die Ultras ins Zeug legen, verhält sich die Mehrzahl der Fans zurückhaltender.

Dass das so ist, will auch der SV-Werder-Fan-Beauftragte Dieter Zeiffer nicht bestreiten. Doch kritisieren will er das nicht, im Gegenteil: „Der Norddeutsche ist eben etwas reservierter, er will ehrliche Arbeit über mehrere Spiele sehen, bis er sich entschließt, im Stadion auch mal aufzustehen.“ Dafür kippe die Stimmung nicht gleich ins Negative, wenn es kurzfristig schlecht laufe bei Werder. Zeiffer: „Die Dinge mehr zu hinterfragen, ist doch nichts schlechtes.“

Das sieht Mike Redmann von der „Eastside“ auch so: „Das Gejammer und Krakeele in Hamburg oder Hannover bei jeder Niederlage gefällt mir auch nicht“. Er hat allerdings nicht so viel Verständnis für den schweigsamen Fan in der Stehkurve wie Zeiffer, der sagt: „Man muss jeden Fan sein Fan-Leben leben lassen.“ Redmann hat eine andere Erklärung, von norddeutscher Reserviertheit will er nichts wissen: Die Identifikation mit dem Verein lasse vielmehr zu wünschen übrig. „Einige kommen eine Viertelstunde vor Anpfiff ins Stadion und ärgern sich kaum noch, wenn Werder verliert“, so Redmann. Der Stadionbesuch sei einfach nur Unterhaltung, so wie Kino oder Disco. „Das ist in fast allen deutschen Stadien zu sehen, anders ist das nur in Ländern wie Italien.“

Für die Ultras ist der Verein viel mehr, dazu kommt der Wettstreit mit den gegnerischen Fans. Dafür braucht die „Eastside“ die restlichen Fans, Versuche diese mitzureißen gibt es. “Wir wollen geballt Stimmung machen, um die anderen anzustecken, haben aber auch schon versucht, uns auf die ganze Kurve zu verteilen“, sagt Mike Redmann. Neueste Idee ist eine Lautsprecher-Anlage im Fan-Block, die die Fan-Gesänge vorgeben soll.

Die Idee gefällt auch Dieter Zeiffer. Im Gegensatz zu dem von der „Eastside“ gewünschten „Supporters-Block“. Dessen Name soll klarmachen, dass man hier singt und tanzt, dass hier Fahnen geschwenkt werden. Zeiffer dazu: „Wir können nicht Fans erster Klasse installieren.“

Was Jens Jungbluth von der „Eastside“ durchaus etwas frustriert: „Die Vereins-Repräsentanten sind ängstlich bei unseren Aktionen. Die wollen lieber den gesitteten Fan, der sich brav hinsetzt“, auch wenn er hinzufügt: „Diese Entwicklung ist in anderen Vereinen noch extremer“. Solche Ansichten mag Dieter Zeiffer gar nicht hören: „Das stimmt absolut nicht, sonst bekäme die ‘Eastside‘ ja zum Beispiel keine Arbeitskarten von uns geschenkt.“ Aber es gebe noch andere Fan-Gruppierungen die man nicht benachteiligen könne.

Jungbluth dagegen klagt über die Reglementierungen in vielen Fußball-Stadien, in denen die Größe und das Material von Fahnenstangen penibel und willkürlich vorgegeben sei: „Da ist dann mal kein Plastik erlaubt, obwohl Holz viel gefährlicher ist, manchmal dürfen wir die Fahnen nicht einmal mit ins Stadion nehmen, obwohl wir sie vorher angemeldet haben.“

Wirklich beeindrucken aber können Reglementierung und Vermarktung die Ultras nicht: Sie sehen sich als Wahrer des ursprünglichen Fußball-Charakters und werden immer versuchen, ihre Sache innerhalb des Stadions zu vertreten. Denn „Leidenschaft hat einen Namen“ – und, man kann sich‘s nicht verkneifen: „Leidenschaft“ kommt von „Leiden“. Holger Heitmann