Er fror, sah und kaufte

Colin Au kann nichts dafür, dass die größte Halle der Welt jetzt in Brandenburg steht und die Menschen hier an nichts mehr glauben

AUS BRAND/NIEDERLAUSITZ VON KIRSTEN KÜPPERS

Die Frauen hinter dem Buffet mit den Wurstbroten sind skeptisch. Es hat zu viele Pleiten gegeben, als dass die Leute hier noch an Erfolg glaubten. Vielleicht sind auch einfach die Gegensätze zu groß: Palmen in Brandenburg. Ein kleiner Mann aus Malaysia, der in einer riesigen Halle steht. Das Schild „Tropical Islands“ vor dürren Lausitzer Kiefern, gleich draußen neben der Autobahnabfahrt. Die Frauen hinter den Wurstbroten sind misstrauisch. „Ick gloob dit erst, wenn’s fertig is!“, sagt die eine, ihre Kollegin nickt und räumt einen schmutzigen Teller vom Tisch.

Dabei sieht eigentlich alles ganz gut aus. Eben hat es in der Halle den ersten Spatenstich gegeben. Deswegen stehen sie ja hier am Buffet und verteilen Wurstbrote und Gulaschsuppe ans Festpublikum. Ministerpräsident Platzeck war da. Auch der Wirtschaftsminister von Brandenburg. Und der Insolvenzverwalter von CargoLifter natürlich. Sie alle haben in der weiten Halle gestanden, schöne Reden gehalten, auf die Zukunft getrunken, eine Rettung gefeiert.

Ein gelungener Festakt. Und das alles nur wegen diesem fremden Mann aus Malaysia mit seiner verrückten Idee. Alles wegen Colin Au und seiner Firma „Tropical Islands“. Der Investor, der in der überdimensionalen ehemaligen CargoLifterhalle einen exotischen Tropenpark errichten will. Einen 24-Stunden-Freizeitpark mit Mangrovensümpfen, Lagunen und weißem Sandstrand.

Die letzten Festgäste in der Halle leeren ihre Sektgläser, die Frauen hinter der Gulaschsuppe gucken auf die Zimmerpalmen, die auf dem Beton stehen. Sie schauen auf das, was heute schon einen Vorgeschmack geben soll auf das, was kommt. Sie gucken auf die Orchideen in den Knopflöchern der Gäste und schütteln mürrisch den Kopf.

„Die Leute hier sind warme, freundliche Menschen“, sagt Colin Au. Er ist 54 Jahre alt und hat noch viel vor. Der Spatenstich ist jetzt ein paar Tage her, Au sitzt in seinem Büro auf dem ehemaligen CargoLiftergelände. Das Büro liegt in einem der modernen Glaskästen, die die Luftschiff-Mannschaft zurückgelassen haben. Insgesamt 70 Millionen Euro will Au gemeinsam mit dem Partnerunternehmen „Tanjong“ investieren, damit Ende dieses Jahres der Tropenpark eröffnen kann.

In den nächsten Tagen werden die ersten großen Mangobäume aus Holland in die Halle getragen. „Es wird ein glücklicher Ort werden“, sagt Au. Er schlägt die zierlichen Hände übereinander, er lächelt. Wenn er den Kopf dreht, sieht man, dass die Haare gefärbt sind. Colin Au will, dass die Leute ihm vertrauen. Es ist nicht seine Schuld, dass das Gelände verseucht ist mit alten Geschichten.

Er kann nichts dafür, dass die CargoLifter AG Pleite gegangen ist. Er kann nichts dafür, dass 290 Angestellte drei Jahre lang nichts produziert haben. Dass der CargoLifter zu einer ähnlichen Brandenburger Katastrophe geworden ist wie die Chipfabrik und der Lausitzring. Dass 62 Millionen aus der öffentlichen Hand bezahlt wurden und die Menschen trotzdem keine moderne Luftschifftechnik bekommen haben. Dass hunderte von Kleinanlegern an eine revolutionäre Technologie geglaubt haben und nun mit leeren Händen dastehen. Colin Au kann nichts dafür, dass die größte Halle der Welt jetzt in Brandenburg steht und die Menschen hier an nichts mehr glauben.

Er lächelt. Colin Au ist einer jener wohlhabenden Geschäftsleute aus der Sphäre der Finanzen und Dienstleistungen, die zwischen den klimatisierten Räumen Australiens und Singapurs pendeln. Einer jener Männer im schwarzen Anzug, die sich mit der Sicherheit und der gedämpften Eleganz von Krokodilen bewegen, weil sie wissen, dass die Kommunikation mittels Geldströme überall gleich funktioniert.

Au ist Unternehmer in der Tourismus- und Freizeitindustrie. In Asien, Australien und den USA hat er große Hotelkomplexe errichtet. Als er vor ein paar Jahren als Chef einer Kreuzfahrtlinie in Bremen vier Schiffe bauen ließ, fiel ihm das schlechte Wetter in Deutschland auf. Da kam ihm die Idee mit der Tropenhalle. Au hat seine Freunde auf der ganzen Welt angerufen. Er hat sie gefragt, ob sie ein geeignetes Gelände wüssten. Anfang 2002 hat ihm ein Bekannter etwas Überraschendes vorgeschlagen. Nicht nur das Gelände, sogar eine Halle gäbe es schon: die leere CargoLifterhalle in der Niederlausitz.

Colin Au ist nach Brandenburg gefahren. Es war ein kalter Tag im Februar. Die Eisschicht auf der Autoscheibe war zwei Zentimeter dick. Colin Au war auf diese Kälte nicht vorbereitet. Er war nicht warm genug angezogen. Er hat sich die Halle angeguckt, er hat gefroren und war trotzdem begeistert. Dann hat er sich um die Halle beworben.

Er war nur einer von vielen. „Die Luftschifftechnik zieht viele Idealisten an“, erzählt Maren Christ, die Sekretärin. Sie hat damals für den Insolvenzverwalter die Anrufe entgegengenommen, die Briefe und E-Mails. Es gab einfache Leute aus der Umgebung, sie hatten eine Erbschaft gemacht oder ein bisschen Geld gespart und wollten nun die Halle kaufen. Einer wollte ein Skiparadies eröffnen, ein anderer eine Indoor-Golf-Anlage. Einer plante eine überdachte Fußballweltmeisterschaft.

Auch die Unseriösen haben angerufen, die Haifische, die sich bei jeder größeren Pleite melden. Sie nennen sich „Kapitalgeber“ und versprechen: „Sie geben mir eine Million und ich besorge Ihnen 500.“ Zwischen all den Angeboten fiel der Mann aus Malaysia zunächst nicht besonders auf, sagt Christ. Inzwischen ist sie Sekretärin der Geschäftsleitung von „Tropical Islands“.

Man muss Geld haben für eine solche Halle. Sie ist teuer. Auch wenn sie nur leer herumsteht kostet sie Geld. 2,6 Millionen Euro im Jahr. Das meiste sind Energiekosten, dazu kommen die Kosten für den Wachschutz. Das Land wollte die lästige Halle schnell loswerden. Der Insolvenzverwalter Rolf-Dieter Mönning handelte einen Preis von 17,4 Millionen aus. Das ist nur ein Viertel von dem, was sie gekostet hat. Das ist immer noch billiger, als selber eine Halle zu bauen, dachte sich Colin Au. Das Land und der Insolvenzverwalter wussten nicht, ob sie dem Mann aus Malaysia trauen konnten. „Wir haben Colin Au sehr genau überprüft“, sagte Mönning in seiner Rede zum Spatenstich. „Wir haben festgestellt, dass er das Geld aus dem Cashflow bezahlen kann.“

Jetzt parkt ein einsamer schwarzer Mercedes zwischen den dünnen Kiefern in Brand. Es ist das Mietauto des neuen Chefs. Neun Cargolifter-Mitarbeiter sind von „Tropical Islands“ übernommen worden. Sie haben einen der übrig gelassenen Glaskästen auf dem Gelände bezogen. Es ist viel Platz da, wenn das Alte weg ist und das Neue erst kommt. Die Mitarbeiter stellen Kaffeetassen und Topfpflanzen auf die kahlen Flächen, gegen die Ungemütlichkeit. Unter dem Schreibtisch im Chefzimmer stehen blaue Frotteeschlappen, wie man sie in guten Hotels bekommt. Den Glaskasten nebenan nutzt Colin Au als Wohnung. Die anderen Gebäude stehen leer. Eine Verlassenheit, in der Vornehmheit steckt und auch viel Ungewisses.

Mittags kann man Colin Au jetzt manchmal in den Nachbarorten beim Essen sehen. Er sitzt alleine an einem Tisch in einer rustikalen Gaststube. Die Einheimischen stoßen sich mit den Ellenbogen und sagen: „Das isser!“ Das ist der Mann, der ihnen einen Regenwald mit Badelandschaft und 500 Arbeitsplätzen versprochen hat. Die Leute passen auf. Sie haben schlechte Erfahrungen gemacht mit Versprechen.

Dabei klingt es ja geradezu fantastisch, was Colin Au zusichert: Palmenstrände, Lagunen, exotische Hütten von Bali bis Brasilien, Cocktails, tropische Früchte, fremde Musik, Beachball und Tierstimmen vom Tonband. Drei Millionen Besucher will Colin Au jährlich in seinen Park holen. Dafür hat er ein ambitioniertes 24-Stunden-Programm entwickelt.

Früh morgens will Au Menschen aus der Region anlocken. Die Lausitzer sollen sich fit halten mit „Power-Joggen“ und Chi Gong in tropischer Atmosphäre. Danach sollen Schulklassen den Park besichtigen, nachmittags Hausfrauen. Freundliche Helfer werden Blumensträuße für sie bereit halten. Und für die Brasilien-Show am Abend werden Geschäftsleute aus Berlin erwartet. Danach lärmt eine Beachparty los. Die Partys sollen dem Berliner Nachtleben Konkurrenz machen. Für die Wochenenden spekuliert Au auf Touristengruppen und Familien. Shuttle-Busse sollen alle halbe Stunde zwischen dem Berliner Bahnhof Zoo und der Tropenhalle pendeln. Der Regionalexpress nach Cottbus soll künftig am Bahnhof Brand halten. „Und Polen ist ja auch sehr nah“, sagt Au.

Man kann zusehen, wie er schwärmt. Die Halle ist leer. Sie ist riesig. Colin Au verschwindet darin fast. Aber das macht nichts, er redet, seine Augen leuchten, die Schuhe klappern aufgeregt, wenn er durch den weiten Raum läuft. Er macht Werbung. Der Tagesausflug in die Tropen soll eine vierköpfige Familie weniger als hundert Euro kosten, inklusive Eintritt, Essen und Unterhaltung. „Billiger als ein Urlaub“, meint Au. Er gibt jetzt auch Frauenzeitschriften Interviews, weil Urlaube „ja maßgeblich von den Frauen entschieden“ werden.

Bald fährt er nach Brasilien und Bali. Um Tänzer für die Show zu suchen. Er lacht. Er redet über das Geschäft. Er redet nicht darüber, wie seine eigene Frau und seine zwei Kinder in Singapur es finden, dass er jetzt irgendwo in einem kalten Land in einer leeren Halle steht und Zukunftsvisionen für eines der größten Pleiteprojekte des deutschen Ostens entwirft. „Können Sie sich das vorstellen? Ein kühles Bier unter Mangobäumen? Mitten im Winter?“ Er hört nicht auf.