Unappetitliches Argument

Wirtschaftsfunktionär Braun droht mit Verlagerung von Unternehmen ins Ausland – und der Kanzler meckert ihn deshalb als Unpatrioten an. Eine falsche Kritik. Doch worin bestünde eine richtige?

AUS BERLIN HANNES KOCH

Die Äußerung berührt Unangenehmes. Und markiert eine dieser schwierigen Debatten. Auf welche Haltung hatten wir uns damals mit uns geeinigt?

Ludwig Georg Braun, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, hat gerade seine Mitgliedsfirmen aufgefordert, ins Ausland umzuziehen. Vornehmlich gen Osten in die neuen EU-Länder.

Braun will dies als Drohung verstanden wissen, um die rot-grüne Bundesregierung von der Notwendigkeit weiterer wirtschaftsfreundlicher Reformen zu überzeugen. Steuersenkung her – oder Umzug! Bundeskanzler Gerhard Schröder reagiert umgehend und lässt mitteilen, in Brauns Äußerung erkenne er einen unpatriotischen Akt. Kann sich Schröder nicht ein anderes Argument aussuchen? Muss es ausgerechnet dieses potenziell unappetitliche sein?

Der Boss aller hiesigen Industrie- und Handelskammern fordert ja nur eines: bessere Voraussetzungen, um hierzulande mehr Geld zu verdienen. Als Hilfsargument verweist Braun darauf, dass die Unternehmen die angestrebte höhere Rendite auch im Ausland realisieren können, wenn die deutsche Politik nicht willig sein sollte.

Abgesehen davon, dass die angedrohte Abwanderung in der öffentlichen Wahrnehmung wesentlich öfter stattfindet als in der Realität, erpresst der DIHK-Chef die Politik mit dem alten Standortargument. Die vergangenen zwanzig Jahre zeigen, dass dies ziemlich gut funktioniert.

Und wie hält Schröder dagegen? Er wechselt die Ebene. Er greift die Wirtschaftslobbyisten von hinten an – dort, wo die Konservativen empfindlich sind. Nicht beim Geld versucht Schröder sie zu packen, sondern beim Sinnzusammenhang. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“, heißt es ja zutreffend.

So könnte man ergänzen: „Und das Unternehmen nicht von der Rendite.“ Sondern auch davon, dass Manager und Beschäftigte an vor- und postmaterialistische Werte glauben, die ihrem Tun Sinn verleihen. Nun sind es nicht Gott, die Liebe oder das Glück des Menschengeschlechts, die Schröder bemüht, sondern die Pflicht des Staatsbürgers, also auch des Managers, nicht nur immer zu fordern, sondern auch mal etwas zu geben. Als Inhalt patriotischer Pflicht empfiehlt die SPD-Führung die Orientierung am Gemeinwohl, das sie wohlweislich aber nicht präzisiert.

Aber Schröders Argument funktioniert, wie das Nach-Luft-Schnappen der Wirtschaftslobby beweist. Die rot-grünen Spitzen benutzen den Patriotismus auch deshalb so gerne, weil naheliegendere und ehrlichere Argumente nach hinten losgehen würden. Rot-Grün kann den Firmenfunktionären schlecht öffentlich erwidern: „Hey Jungs, wie haben euch schon so viel gegeben, jetzt seid mal zufrieden.“

Dies würde den Eindruck verstärken, den man just zerstreuen will: Die Agenda 2010 belastet Reiche weniger als Arme. Außerdem sind Manager nie zufrieden. Ihre Eigenkapitalrendite und Bonuszahlungen halten sie chronisch für zu niedrig.

So kommt die Regierung mit dem Gefühlsfaktor. Und nähert sich damit Argumenten, die auch bei den Globalisierungskritikern nicht unbeliebt sind. Dort hört man nicht selten von der Notwendigkeit, sich auf den Nationalstaat zurückzubesinnen – auf die alten Grenzen als Verteidigungslinien gegen die moderne Weltgesellschaft.

Die Nähe zu Haltungen seiner linken Kritiker macht Schröders Argument nicht weniger unappetitlich. Sollte es nicht um den Dienst an den in einem Land lebenden Menschen gehen, nicht um das Land selbst? Vielleicht meinen die SPD-Vaterlandsfreunde ebendas. Dann aber sollten sie andere Worte wählen. Jenseits nationalstaatlicher Kategorien wäre angebracht, Firmen an ihre soziale Verantwortung zu erinnern. Das wäre eine moralische, unökonomische Kategorie – aber auf der Höhe der Zeit.