Normale Randale: "Volkssport" ohne Moral

Ausschreitungen auf der Bremer Sielwallkreuzung haben linke Tradition. Doch nun, sagt die Polizei, werde sie von "Normalbürgern" angegriffen.

Ein Event für normale Bürger: Angriffe auf Polizisten Samstagnacht in Bremen Bild: Michael Fuchs

BREMEN taz Einen Appell an die Bürger, den gesellschaftlichen Konsens nicht zu verlassen - um nicht weniger ging es Bremens Polizeipräsident Holger Münch, als er am Dienstag zur Pressekonferenz geladen hatte. Am Wochenende war es nachts auf der Sielwallkreuzung in Bremens links-alternativem Steintorviertel zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. Doch es waren keine linken Autonomen oder "Ultras", Hardcore-Fußballfans: "Normale Bürger haben Flaschen geworfen, dazu geklatscht und die Polizisten beschimpft", so Münch. Konflikte sei die Polizei gewohnt, nicht aber mit der Klientel, für die sie eigentlich arbeite. Um das Anliegen zu unterstreichen, hatte Münch einige PolizistInnen eingeladen. Eine junge Polizistin, erst ein Jahr dabei, war erschüttert: "Ich wurde von Menschen beschimpft oder bespuckt, die mein Papa oder Opa hätten sein können."

Festgenommen worden waren wegen Angriffen auf die Polizei am Wochenende vier Männer, zwischen 17 und 33 Jahren, die sich keiner politischen Szene zuordnen ließen. Zum "Viertelfest" waren Menschen aus ganz Bremen in die Stadtteile Ostertor und Steintor gekommen, um vor Bühnen, Bierständen und Bratwurstbuden zu feiern. Das Betreten der zentralen Kreuzung war am diesem Abend an sich noch kein Vergehen. Dennoch flog, wie an so manchem Wochenende üblich, irgendwann ein Ball in die Menge und wie immer rannte ein Polizeitrupp hinterher und konfiszierte die Kugel. Flaschen flogen. "Wenn wir das Fußballspiel nicht unterbinden, folgen Lagerfeuer und dann Vandalismus", so Polizeipräsident Münch.

Diese Szene ist in Bremen bekannt und - wenn auch ohne Fußball - jahrelange Tradition im linken Stadtteil.

Bekannt sind auch die Reaktionen aus der Politik: Wie seit Jahren forderte die CDU ein Sofortprogramm zur Befriedung der Kreuzung, sah dort einen "rechtsfreien Raum". Die FDP warf der SPD vor, gegen die "Freunde" von der Antifa nicht hart genug durchzugreifen. Doch die waren diesmal laut Polizei gar nicht beteiligt.

Ähnlich war es bereits am 9. Juli gewesen. Straßenschilder und Steine waren auf die Polizei geflogen, eine große Menge auf der Kreuzung hatte applaudiert. Auch im Juli waren es keine Linken, sondern "erlebnisorientierte Jugendliche", wie die Polizei sie nannte. Auch im Juli hatte eine Open-Air-Festivität, die "Breminale", zahlreiche Besucher ins Viertel gelockt.

"Wo viele Leute auf einem Haufen sind, findet man auch Idioten", sagte der Leiter des Ortsamts Bremen-Mitte, Robert Bücking. Die Krawalle in den Achtzigern und in den Neunzigern hätten noch mit dem linken Lebensstil der Viertelbewohner zu tun gehabt. "Die Leute sagten ,Wir leben wie Indianer im Feindesland'", so Bücking. "Die jetzige Randale hat keine Moral und kein Motiv."

"Auch mit der Kreuzung hat es etwas zu tun", sagt Polizeipräsident Münch. "Das Viertel war Ausgangspunkt von Protestbewegungen, die Kreuzung der Punkt für Auseinandersetzungen mit der Staatsgewalt." In den Achtzigern, so Münch, da habe er selbst auf der Sielwallkreuzung gestanden, nach der Randale am Weserstadion gegen das Bundeswehrgelöbnis. Dann, in den Neunzigern, die regelmäßigen Silvesterkrawalle - alles im weitesten Sinne "links" motiviert. Heute dagegen seien die Ausschreitungen "eine Art Volksport" und hätten "Eventcharakter", vermutet die Polizei.

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