Westlicher Kulturchauvinismus

betr.: „Weltweiter Kursus“ (Knackpunkt Industrie: Woraus resultiert das Ohnmachtsgefühl der islamischenWelt gegenüber dem Westen?) von Uwe Simon, taz.mag vom 6. 3. 04

Wie Herr Simon ohne Umschweife die kulturelle Diffenrenz als Kern einer erfolgreichen oder eben zum Scheitern verdammten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung ausmacht, das muss schon beeindrucken! Allem voran geht der Westen, und wir erfahren von der Teilung der Welt der Verfolger in erfolgreiche Konfuzianer und gescheiterte Araber und Afrikaner. Geografie, Kolonialerbe und ordnungspolitische Feldversuche spielen für die Industrieentwicklung keine Rolle. Nun, dass aus geografischer Sicht Marokko eher reich sein müsste als Finnland, verstehe ich so wenig wie die Finnen. Für die Bedeutungslosigkeit der Geschichte der Kolonien und im weiteren der Entkolonialisierung führt Simon den Autoexporteur Korea an, da will mir die ganze Zeit keine nordkoreanische Automarke einfallen. Spätestens als Simon aber mit der „größeren chinesischen Minorität“ die doch mit einigem Erfolg industrialisierten südostasiatischen islamischen Staaten auf die Gewinnerseite rüberrettet, frage ich mich, was taugt eigentlich eine Theorie, die selbst die angeführten Beispiele nicht erklärt. Kleine Zusatzannahmen, wie der Hass einer gesamten arabischen Jugend auf den Westen und der sehnliche Wunsch, ihn zu zerstören, oder der Ausschluss Griechenlands aus dem Abendland, wo Kanada und die USA, eigentlich der gesamte amerikanische Kontinent und selbst Australien und Neuseeland kein Problem haben dürften, zum Kreis der erlauchten Kulturen zu gehören, lässt mich verwirrt zurück.Wenn sich bis zum Schluss des Artikels nicht der Hauch eines Nachdenkens über die Bedeutung der kulturellen und wirtschaftlichen Expansion des Westens bis hin zum heutigen Gefüge im Welthandel und der Ökonomie findet, verwundert das nicht mehr weiter, erschreckt aber umso mehr, wenn man sich diesen ignoranten Geist im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit denkt.

Die Reduzierung von Entwicklungsimpulsen auf den Willen der Beteiligten ist der typisch westliche Kulturchauvinismus. Er speiste stets das Unverständnis der Wohlmeinenden, weshalb die edlen Wilden die kulturelle Botschaft nicht hören wollten. Und die Übelmeinenden sahen in einer unwürdigen Horde versoffener Indianer nicht das Resultat, sondern den Grund, warum diese ihr Los nicht unverdient traf. Und das setzt sich in unserem heutigen Unverständnis gegenüber macheteschwingenden afrikanischen Jungmännern und selbst ernannten arabischen Märtyrern fort, denen ihre sozialen Strukturen samt Traditionen und gewachsenen Gemeinschaften um die Ohren geflogen sind.

Es ist schon erstaunlich, wenn der aufgeklärte Abendländer noch unkritischer den Folgen seines Tuns gegenüber in die Gesellschaft eingreift als in die Natur. Und dann noch meist auf den eigenen schnöden Vorteil fixiert. Und hier schließt sich der Kreis. Simon hätte das durchaus auffallen können, mit seinen bevorzugten Beispielen Japan und China hebt er gerade solche Länder als Vorbilder heraus, die eine lange Tradition der Verweigerung gegen westlichen Einfluss und schlussendlich seiner Assimilation vorweisen. Vielleicht ist dies ja der Schlüssel ihres Erfolges und lässt die Ressentiments der Araber gegen den Westen, einer großzügigen oder gar bedenkenlosen Öffnung ihm gegenüber, in einem anderen Licht erscheinen. […] Es ist nichts dagegen einzuwenden, über kulturelle Besonderheiten und ihre Wirkungen auf gesellschaftliche Entwicklungen nachzudenken. Wer aber allein mit dem Ziel fabuliert, eine Kultur als aus sich selbst heraus zu irgendeiner Weiterentwicklung nicht fähig zu diffamieren, der betreibt genau jenen Kulturchauvinismus, mit dem ökonomisch, militärisch und vermeintlich kulturell überlegene Mächte noch jeden Eingriff oder Angriff auf der Welt legitimiert haben und die Opfer gleich mit entschuldigen. Im Übrigen, der Komparativ zum Kulturchauvinismus ist der Rassismus, sein Superlativ der Faschismus. INGO WITZMANN, Berlin