Wer ist hier der Mugu?

Mike und seine Mitstreiter jagen im Internet E-Mail-Betrüger. Ihre Trophäen sind realsatirische Briefe und absurde Fotografien. Denn die Betrüger erweisen sich nicht selten als ziemlich dämlich

Mike wundert sich, wie leicht die Lügenprofis auf seine Geschichten hereinfallen

AUS LAGOS HAKEEM JIMOFOTOS: WWW.419EATER.COM

John wollte seine Liebe mit etwas ganz Besonderem beweisen. Seine angebetete Brieffreundin Sharon hatte darauf bestanden. Denn sie kannten sich nur aus den Briefen, hatten sich nie leibhaftig in die Augen geblickt. Die Dutzenden E-Mails waren Sharon nicht genug. Schließlich überwies John zehn Euro als Liebes- und Vertrauensbeweis. Sharon war glücklich und erzählte es allen auf ihrer Internetseite. Kollegen von Sharon gratulieren ihr zum Rekord. Zum Rekord, Betrüger aufs Glatteis zu führen.

Denn John ist ein schlimmer Finger. Er schickt jeden Monat hunderte Briefe in die ganze Welt, verspricht große Geldsummen. Die Adressen bekommt er aus Telefonbüchern und im Zeitalter des Internets aus Suchmaschinen für E-Mail-Adressen. Die ersten Briefe folgen noch einem Standard, nur die Namen der Adressaten ändern sich. Die Geschichten sind immer dieselben: Das Testament eines einsam in Nigeria gestorbenen entfernten Verwandten verspricht mehrere Millionen Dollar; die geschasste Präsidentenfamilie eines afrikanischen Landes braucht Hilfe, um die geklauten Millionen auf ein ausländisches Konto zu überweisen. Wenn man sich auf Kontakt mit den Betrügern einlässt, kann das ein böses Ende nehmen. In England haben einige Opfer jeweils rund 50.000 Euro verloren. Über 25 Morde sollen auf das Konto der Betrüger gehen, schrieb vor kurzem die Lagoser Tageszeitung The Comet.

Ob John seine Liebste umgebracht hätte, ist schwer zu sagen. Er hatte sie nach Lagos eingeladen, versprach sich eine Heirat. Danach wollte der Bräutigam gemeinsam mit Sharon nach England auswandern. Sharon hatte ihm zuvor geschrieben, dass sie ein Zimmer nur für ihn eingerichtet habe und einen kleinen Swimmingpool bauen wolle, weil er ja so gerne schwimme. Am Anfang jedenfalls ging es nicht um gemeinsame Zukunftspläne, sondern um Geld. John wollte, dass Sharon überweist – nach der alten Masche. In seinem ersten Brief stand, dass ein befreundeter Geschäftsmann von der nigerianischen Regierung zu viel Geld für einen öffentlichen Bauauftrag ausgezahlt bekommen habe. Nun wolle dieser die Differenz von mehreren Millionen US-Dollar schnell von seinen Konten schaffen. Wenn Sharon nur für einige Tage ihr Konto zur Verfügung stellen würde, blieben für sie einige hunderttausend Dollar übrig. Nachdem Sharon zunächst ihr Interesse bekundet hatte, begann sie mit der Umsetzung ihrer Gegenstrategie.

Sharon ist nicht der richtige Name. Den verheimlicht sie auf der eigenen Webseite www.419eater.com. Im nigerianischen Polizeicode steht 419 für „Advanced Fee Fraud“ – Betrug mit Geldvorauszahlungen. Eine andere Webseite heißt http://baita.mugu.co.uk. „Mugus“ heißen im nigerianischen Slang totale Dummköpfe, Volltrottel. So nennen die Betrüger, kurz 419er, ihre Opfer. Als „Baiter“, zu Deutsch Hetzer, bezeichnen sich die Guten: also die Leute wie Sharon, die die Briefbetrüger sabotieren wollen. Das Verb „to bait“ bedeutet allerdings zu Deutsch ködern, womit die Sache auch viel zu tun hat. Die Saboteure mit guter Absicht bezeichnen ihrerseits die 419er als Mugus – und sich folglich selbst als Mugu-Baiters. Sie hetzen ihre Gegenspieler, die ihrer Meinung nach die eigentlichen Dummköpfe sind. Die Mugu-Baiter verwickeln die Betrüger in endlose Briefschleifen, fordern Beweise und Fotos. Ihr Spielchen mit den Kriminellen verschwendet deren Zeit und Ressourcen, die ihnen dann wiederum für weitere Betrugsgeschäfte fehle. Die Sabotage erfolgt überaus fantasievoll. So hat sich in den vergangenen Jahren eine kleine Internet-Gemeinde entwickelt, die den 419-Betrügern wenigstens einige kleine Striche durch die Rechnung machen wollen. Es geht ihnen nicht darum, große Summen zu ergattern. Fotos und Dokumente von den Betrügern zu erhalten, sie auf falsche Fährten zu locken und ins Leere laufen zu lassen, sind die eigentlichen Erfolgsbestätigungen für die Hetzer. Dokumentiert sind ihre Jagden auf rund 150 Internetseiten. Hier zeigen die Anti-419er ihre Erfolge und informieren über diese Art von Betrug. Die Dokumentationen bestehen aus der teilweise absurd ausufernden Korrespondenz, aus Fotos von den Betrügern, manchmal auch aufgezeichneten Telefonaten und gefälschten Dokumenten – unterhaltsame Realsatire. Ein Buch mit gesammelten Briefen ist bereits erschienen: „Dancing with Thieves“ (Clarissa McNair, iUniverse.com, März 2001)

„Mugu“ ist nigerianisch und heißt „Volltrottel“. So nennen die Betrüger ihre Opfer

Was ist aus der vermeintlichen Liebe zwischen Sharon und John geworden? Nun ja: Sharon ist gar keine Frau, sondern ein 41-jähriger Computer-Programmierer aus Manchester. Sein Name ist Mike. Mehr verrät er nicht. Denn es ist besser, seine wahre Identität im Umgang mit Kriminellen zu verheimlichen. Nachdem er einige von den betrügerischen Briefen bekommen hatte, startete Mike vor rund zwei Jahren seine Anti-419-Webseite. Mike nimmt in den Briefen eine ganze Reihe von Charakteren an. Ein überdurchschnittlich erfolgreiches Anti-Betrüger-Profil ist das einer 27-jährigen Angestellten in einer Werbeagentur, die immer noch unverheiratet ist – Sharon. Meistens tischt er dem Betrüger eine eigene Schicksalsgeschichte auf. In anderen Fällen gibt Mike vor, einer Kirche namens „Brot, Wein und Fisch“ anzugehören und verlangt zur Identifizierung, dass der 419-Betrüger sich mit einem Laib Brot auf dem Kopf und einer Flasche Wein im Schoß für ein Foto ablichten lässt, wahlweise auch mit einem Fisch auf dem Kopf. Im Namen der „Church of the Holy Cow“ fordert Mike, dass Milchflaschen eine zentrale Rolle im Bild spielen. Er nutzt seine technischen Fähigkeiten, manipulierte Fotos und Dokumente zu erstellen, die die Betrüger von seiner Zahlungsbereitschaft überzeugen sollen. Unter Zugzwang schicken sie dann haarsträubende Fälschungen zurück, bei denen allein die Laienhaftigkeit Lachtränen erzeugt: Teils knabenhafte, teils ältere Männer, die sich in ihren Briefen als Industriebosse ausgegeben hatten, teils in schäbiger Trainingskleidung, teils in abgewetzten, viel zu engen Anzügen. Es geht den Anti-419-Köderern um diese Trophäen. Mike sagt, dass er auch zeigen wollte, wie diese Betrüger aussehen. Gewundert habe ihn, wie leicht die Lügenexperten auf seine Geschichten hereinfallen.

Über die Motivation dafür, Dutzende langwierige Korrespondenzen gleichzeitig zu führen, sagt Mike, dass es seine Kreativität fördere, sich ständig neue, absurde Geschichten auszudenken und mit manipulierten Bildern die Gegner hinters Licht zu führen.

Irgendwann kommt es zwangsläufig zur Enttarnung. Dann ist die Zeit für Mike und seine Mitstreiter gekommen, den Betrügern einen Hinweis auf die eigene Webseite zu geben und ihnen in einer letzten E-Mail ins Gewissen zu Reden: Sie sollten die 419-Lügengeschichten besser sein lassen, ihre Gehirn für etwas anderes nutzen, auch wenn es der steinigere Weg sei. John antwortete zunächst trotzig, dass er sowieso nicht auf Sharons Spielchen hereingefallen sei. Gleichzeitig verbarg er nicht seine Bewunderung für die technischen Tricks von Sharon und schlug vor, ob Mike nicht gemeinsame Sache mit ihm machen wolle. Mike antwortete nicht. Ein paar Monate später kam eine weitere E-Mail von John. Er schrieb, dass er nun ein wahrhafter Christ geworden sei, auch wenn er kein Einkommen mehr habe und es seiner armen Familie noch schlechter ginge. Der Brief endete mit der Frage, ob Mike nicht sein Freund werden wolle. Und ob er nicht ein bisschen Geld schicken könne?