Der schwarze Mozart

Er war gefeierter Musiker, Revolutionär und Frauenschwarm, stieg in die Pariser Aristokratie auf und vollbrachte Außerordentliches: Ein Lese- und Konzertabend in der Ostergemeinde erinnert an den glamourösen Chevalier de Saint-George

VON RONALD DÜKER

Eine tropische Dezembernacht auf Guadeloupe. Während Strand und Palmenwald ins Dunkel sinken, dringt das ferne Trommeln der Eingeborenen aus dem Busch. Schnitt: Loireschlösser auf Ölgemälden, tiefe Teppiche und schwere Möbel – eine Festgesellschaft in Pumphosen lässt sich von livrierten Schwarzen mit Champagner versorgen. Nur der Gastgeber fehlt. George de Bologne de Saint-Georges, der Plantagenbesitzer, sitzt an einem Himmelbett, in dem ihm Nanon, die schwarze Sklavin, einen Sohn zur Welt bringt. Joseph de Bologne, den die Pariser Gesellschaft Jahre später nur unter dem Namen Chevalier de Saint-Georges kennen wird, erblickt am Heiligabend des Jahres 1745 das Licht der Welt.

So oder so ähnlich könnte die mögliche Eingangssequenz eines Historienfilms aussehen. Von einer kanadischen Fernsehdokumentation abgesehen, hat das abenteuerliche, frivole und zum Ende tragische Leben des Chevaliers aber noch keinen Widerhall in der Filmgeschichte gefunden.

„Der schwarze Mozart“ ist ein Beiname, den erst die Nachwelt dem Chevalier de Saint-George verliehen hat. Zu Lebzeiten hatte sich der Chevalier, dieser illegitime Sohn einer schwarzen Sklavin und eines wohlhabenden adligen Kaufmanns, seine Berühmtheit aus eigener Kraft erarbeitet. Nachdem sein Vater einen Rivalen im Suff niedergestochen hatte, musste die Familie Hals über Kopf nach Paris fliehen. George de Bologne war verheiratet, wollte aber auch seine Geliebte, die Sklavin Nanon, nicht in Guadeloupe zurücklassen. Der mittlerweile vierjährige Joseph genoss von nun an die beste Ausbildung und übertraf seine weißen Altersgenossen bald in allen Disziplinen.

Für einen „Mûlatre“ war der Weg in die höchste aristokratische Gesellschaft kaum vorgezeichnet, was den Ehrgeiz des hochbegabten jungen Mannes umso mehr anstachelte. Weil er mit dem Fechtdegen ebenso virtuos umzugehen verstand wie mit dem Geigenbogen, war er bereits als 19-Jähriger überall als Chevalier bekannt. Die Pariser Gesellschaft tuschelte über die amourösen Streifzüge, die er gemeinsam mit seinem Freund und Verfasser der „Gefährlichen Liebschaften“, Choderlos de Laclos, unternahm. Sogar über eine Liaison zwischen dem Chevalier und Marie Antoinette wurde spekuliert. Der Chevalier de Saint-George war in diesen Jahren längst ein gefeierter Musiker und hatte sich als Geiger, Komponist und Dirigent hervorgetan. Damals berühmte Komponisten wie Antonio Lolli, Francois Gossec und Carl Stamitz widmeten ihm Violinkonzerte; diejenigen, die er selbst komponierte, stellen höhere technische Ansprüche als die Werke des Salzburger Kollegen Mozart. Es gibt Musikgeschichtler, die Mozarts Kompositionen den Einfluss von Saint-Georges ablesen. Die geplante Ernennung zum Direktor der Pariser Oper scheitert jedoch am Einspruch einiger dort beschäftigter Sängerinnen, die sich in einer Petition an die Königin dagegen verwahren, künftig Anweisungen von einem Mulatten entgegenzunehmen.

Zum ersten Mal ist dem Chevalier in diesem Moment seine Hautfarbe zum Verhängnis geworden, und es scheint so, dass sich diese Niederlage in einer immer stärkeren Politisierung niedergeschlagen hat. Konzertreisen nach England brachten Joseph de Bologne, der sich als Mitglied der Freimaurerloge ständig innerhalb konspirativer politischer Verbindungen bewegte, mit der Anti-Sklaverei-Bewegung in Verbindung. Man vermutete deshalb, dass ein Attentat in London, bei dem Saint-George mit vier bewaffneten Männern fertig wurde, von höchster Stelle befohlen worden war. Von der Pariser Aristokratie hatte sich der Chevalier zumindest glaubhaft genug entfernt, um 1789 als Revolutionär anerkannt zu werden: In der Nationalgarde bekleidete er den Rang eines Kapitäns und nutzte die neu ausgerufenen Ideale in seinem ganz persönlichen Kampf für ethnische Gleichberechtigung. 1791 befehligte er im Kampf gegen österreichische Truppen ein Regiment aus tausend Soldaten, allesamt schwarzer Hautfarbe. Unterstützung hatte Saint-George dabei von Alexandre Dumas, auch der ein Kind eines französischen Aristokraten und einer afrikanischen Sklavin und Vater des Autors der „Drei Musketiere“. Doch wegen angeblicher Veruntreuung von Geldern wird er nach der Revolution für achtzehn Monate ins Gefängnis gesteckt. 1799 stirbt Saint-George verarmt an einer unbehandelten Blasenentzündung.

Die von Harry Louiserre und Donald Griffith initiierte französisch-deutsche Künstlergruppe „Classic in Black“ befördert heute Abend die musikalische Kultur der schwarzen Diaspora und veranstaltet in der Ostergemeinde in Berlin-Wedding eine szenische Lesung, in der es um den Chevalier gehen wird. Dazu wird der Geiger Raycurt John- son einige Stücke des großen Komponisten hören lassen. Ein Fechtkampf ist nicht angekündigt.

„Chevalier de Saint-George. Der schwarze Violinist und Komponist, der Mozart beeinflusste“. Lesung und Konzert in der Ostergemeinde, Berlin-Wedding, Samoastr. 14, 20 Uhr