Bundesparteitag der CDU: Merkel singt das hohe C

Was ist heute noch konservativ? Angela Merkel versucht sich beim Bundesparteitag an der Quadratur des Kreises: Alles ist so wie es immer war und doch anders.

Stimmt der konservative Kompass noch? Merkel meint, "Ja". Bild: reuters

LEIPZIG taz | Vor der Leipziger Messehalle spendierten Aktivisten der Aktion "Linkstrend stoppen" Orangen an die Besucher des Bundesparteitags der CDU. Auf einer Banderole prangte darauf der Spruch: "Links? Das ist doch krank". Man kann nicht sagen, dass die Südfrüchte besonders viel Anklang fanden: Der ideologische Hardcore-Konservativismus hat bei der Mehrheit der Delegierten ausgedient.

In ihrer Rede auf dem Parteitag bemühte sich Angela Merkel, den Eindruck zu zerstreuen, bei ihren zuweilen abrupten Kurswechseln der letzten Zeit handele es sich um eine Art Linksrutsch. Vielmehr führte sie den Tahrirplatz und Fukushima, den Aufstieg Chinas und die inzwischen sieben Milliarden Erdbewohner auf diesem Planeten auf, um ihre politischen Wendungen zu begründen: "Wir leben in Zeiten epochaler Veränderung", sagte sie.

Konservativ sein könne da nicht bedeuten, auf die Rezepte von vor 30 Jahren zurückzugreifen. Mit Beliebigkeit habe das nichts zu tun. "Unser Kompass gilt noch", sagte sie und machte das Wertefundament ihrer Partei an deren "christlichem Menschenbild" fest.

So versuchte sich Merkel in ihrer Rede an der Quadratur des Kreises: Kontinuität betonen, um ihre Kurswechsel zu begründen. Sie verkaufte ihre Wende in der Atompolitik einmal mehr damit, dass die Welt sich durch Fukushima verändert habe. Im Unterschied zur politischen Konkurrenz stehe man aber für einen Ausstieg "mit Augenmaß". "Wir sagen, wie wirs machen, und nicht nur, wogegen wir sind", sagte Merkel.

Das war auch ein Seitenhieb gegen die grün-rote Regierung in Baden-Württemberg. So verstanden es jedenfalls die CDU-Delegierten aus diesem Bundesland: An dieser Stelle standen sie auf und schwenkten Schilder, auf denen sie ein Votum für "Stuttgart 21" beim bevorstehenden Referendum warben - und ernteten minutenlangen Applaus.

Tradition als "Europapartei"

Merkel verteidigte auch ihre "vielleicht weitreichendste Entscheidung", die Abschaffung der Wehrpflicht, als notwendige Antwort auf die veränderte Weltlage. Dennoch bleibe man der Idee des "Staatsbürgers in Uniform" treu, indem man Reservisten stärke.

Auch wolle man keine Einheitsschule und das Gymnasium bewahren - aber an der Hauptschule festzuhalten sei deshalb noch kein Dogma. Thüringen und Sachsen hätten vielmehr gezeigt, das man mit einem zweigliedrigen Schulsystem gute Pisa-Ergebnisse vorweisen könne. Und auch der Kitaausbau sei richtig gewesen - der Beschluss zum Betreuungsgeld aber genauso, denn so würde die "Wahlfreiheit" der Eltern gewahrt. Familienministerin Kristina Schröder spendete ihr dafür dankbar Applaus.

Vor allem aber betonte Merkel die Tradition der CDU als Europapartei. Europa befinde sich "in der schwersten Stunde seit dem Zweiten Weltkrieg". Sie versprach, sich für mehr klare Regeln für Finanzmärkte und eine Finanztransaktionssteuer einzusetzen.

Zugleich forderte sie automatische Sanktionen sowie Klage- und Durchgriffsrechte gegen Schuldensünder ein. "Wenn es Europa nicht gut geht, dann geht es uns nicht gut", formulierte sie ihr Credo und warnte: "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa. Das werden wir verhindern." Die Krise müsse ein Anlass zur Umkehr sein - "ein Wendepunkt der Art, wie wir unsere Politik gestalten".

Widerspruch abgebügelt

Damit hatte Merkel die Marschrichtung vorgegeben, auf der ihr die meisten bei der folgenden Debatte folgten. Verteidigungsminister Thomas de Maizière betonte, "konservativ" sei eine bestimmte Haltung, nicht eine bestimmte Position. "Ein Konservativer trompetet nicht in der Gegend herum, wie es manche tun", sagte er. Julia Klöckner, die CDU-Chefin in Rheinland-Pfalz, ergänzte, man müsse wertkonservativ, aber nicht strukturkonservativ sein. Widerspruch aus dem wirtschaftspolitischen Flügel, von Josef Schlarmann und Oswald Metzger, wurde so abgebügelt.

Dass die Konservatismus-Debatte auf dem Parteitag eher müde und routiniert dahinplätscherte, lag daran, dass der größte Konflikt in der Sache schon im Vorfeld aus dem Weg geräumt worden war. Bereits am Vorabend hatte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe den Kompromiss verkündet, den die Parteispitze ausgehandelt hatte. Darin spricht sich die CDU für "eine allgemein verbindliche Lohnuntergrenze" aus, um "weiße Flecken" in der Tariflandschaft zu beseitigen. Dieser Mindestlohn soll durch eine unabhängige Kommission von Arbeitgebern und Gewerkschaften festgesetzt werden, die auch Ausnahmen beschließen soll.

Orientieren solle sich dieser Mindestlohn an den anerkannten Lohnuntergrenzen in anderen Branchen, nicht, wie diskutiert, an der Zeitarbeit. Ganz glücklich schien der CDU-Generalsekretär über seine Arbeit. Mit einem seligen Lächeln schien er, wie Karlsson vom Dach, in Leipzig förmlich einen Meter über dem Boden zu schweben.

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