Geht doch nach drüben!

„Wir sind nicht nervös, weil es einen Krieg geben wird, sondern weil er noch nicht angefangen hat“

aus Kuwait-Stadt KARIM EL-GAWHARY

Wer sich in Kuwait-Stadt zurechtfinden will, der orientiert sich nicht an Straßennamen und Hausnummern, sondern an den Namen großer Gebäude. Einzigartig in der arabischen Welt ist das hiesige „George Bush“-Haus, und in unmittelbarer Nachbarschaft gibt es einen „Thatcher“-Trakt. Auch zwölf Jahre nach dem Golfkrieg und dem Ende der irakischen Besatzung herrscht hier ein Gefühl der Dankbarkeit für die amerikanischen und britischen Befreier. Der „American Way of Life“ wird mit Shopping-Malls und Fastfood-Restaurants nachgeahmt. Das kuwaitische Telefonbuch listet allein 39 Burger-King-Restaurants auf. „Gott segne Amerika und seine Alliierten“, heißt es auf einem neuen Schild im Stadtzentrum.

Dass die Amerikaner nun im Land zum nächsten Golfkrieg rüsten und ein Viertel des Landes zu einer „geschlossenen Operationszone“ erklärt haben, in der 17.000 US-Soldaten die Invasion des Irak einüben, gilt den meisten Kuwaitis als Grund zur Beruhigung. „Wir fühlen uns sicher mit der Präsenz der US-Armee“, ist ein immer wieder zu hörendes Argument. Da wird dann schon einmal locker der Krieg herbeigesehnt. „Wir sind nicht nervös, weil es einen Krieg geben wird, sondern weil er noch nicht angefangen hat“, sagt der dem Emir nahe stehenden Parlamentsabgeordnete Ahmad Raba’i. Eine nahezu einzigartige Perspektive in der arabischen Welt, die Kuwaits besondere Stellung unterstreicht. Je schneller mit Saddam Hussein Schluss gemacht werde, desto besser, fügt Raba’i hinzu. Kein Kuwaiti könne sich wohl fühlen, solange der den benachbarten Irak regiere. Keiner habe einen Funken Vertrauen in Saddam Hussein, selbst wenn die UN-Inspektoren zehn Jahre lang nach Massenvernichtungswaffen suchen würden, meint auch Saad Al-Ansi, kuwaitischer Journalist und früher Korrespondent des arabischen Fernsehsenders al-Dschasira.

Doch die bedingungslose Amerikafreundschaft, die hauptsächlich dem gemeinsamen Interesse gegen Saddam Hussein entspringt, zeigt erste Risse. „Die Kuwaitis teilen mit den Amerikanern das Ziel, Saddam Hussein loszuwerden, aber abgesehen davon gibt es wenig Übereinstimmung mit der amerikanischen Außenpolitik“, erklärt der linke Parlamentsabgeordnete Abdullah Nubari. Der Hauptwiderstand gegen die US-Präsenz im Land kommt von radikaler islamistischer Seite, die gelegentlich auch zu militanten Mitteln greift, wie fünf Anschläge gegen Amerikaner in den letzten vier Monaten zeigen, bei denen ein US-Soldat und ein amerikanischer Zivilist erschossen und drei weitere US-Bürger verletzt worden waren. Als „isolierte Vorfälle“ spielt die Regierung die Anschläge herunter. Sicherlich repräsentieren sie kaum die Einstellung der Mehrheit der Kuwaitis. Aber Kuwaits Islamisten, die im Parlament den größten Block stellen, halten mit ihrer Amerikakritik nicht mehr hinter dem Berg – wenngleich auf eine schizophrene Weise. „Wir haben die US-Präsenz zur Befreiung begrüßt, aber das darf nicht auf Kosten der kuwaitischen Unabhängigkeit gehen“, sagt der radikale kuwaitische Islamistenführer Hakim al-Muteiri. Man wolle die Amerikaner als Freunde, nicht aber als Kolonisatoren“, fügt er hinzu. Die US-Stützpunkte am Golf seien Ausdruck einer militärischen Kolonisierung. Sicher wolle auch er Saddam Hussein loswerden, aber der Ersatz für ihn dürfe keinesfalls eine amerikanische Besatzung des Iraks sein. Die Amerikaner, sagt Muteiri, seien schließlich nicht hier, um der Region Demokratie und Menschenrechte zu bescheren, sondern um die Ölquellen und Israel abzusichern und den Islam zu zähmen.

So wandeln die Anhänger der Islamisten wie alle anderen Kuwaitis durch die Shopping-Malls, machen Pause im Starbucks Coffeeshop und benützen dort ganz besonders eifrig ihre Handys, wenn beispielsweise die kuwaitische Tageszeitung Rai Al-Aam fordert, eine bestimmte Nummer zu wählen, um sich für oder gegen al-Qaida und Ussama Bin Laden auszusprechen. So kommen dann Ergebnisse zustande, die besagen, dass zwei Drittel der Kuwaitis al-Qaida unterstützen. Der Islamist al-Muteiri kann dann den westlichen Journalisten verkünden, dass die meisten Kuwaitis zwar nicht die Methoden, aber doch die Ideologie al-Qaidas befürworten.

Dann können sich die liberalen staatlich kontrollierten Tageszeitungen wiederherum darüber beklagen, dass man sich mehr um die Jugend kümmern müsse, damit diese nicht den fundamentalistischen Ideen radikaler Prediger verfalle. Und für diejenigen, die nicht hören wollen, hat der Kolumnist Ali Ahmad al-Baghli die in Deutschland noch wohl bekannte „Geh doch nach drüben“-Phrase parat. „Wer unsere Gesellschaft und unsere amerikanischen Verbündeten nicht respektiert, der soll doch einfach rüber zu Saddam Hussein gehen“, schreibt er – wohl wissend, dass die Islamisten mit dem arabischen Nationalisten Saddam wenig eint.

Zu all diesen kuwaitischen Widersprüchlichkeiten steht nun also ein Krieg ins Haus. Mit wöchentlich wiederkehrenden Zivilschutzübungen und überall in der Stadt hallenden Luftalarm-Sirenen versucht die Regierung, das Volk daran zu erinnern. Doch bisher geben sich die meisten eher gelassen. Statt sich vorzubereiten, genießen die von Hitze und erbarmungsloser Sonne geplagten Kuwaitis in den letzten Tagen das regnerische und kühle Winterwetter. Sie verbringen das Wochenende bei ihren Urlaubszelten in der Wüste, grillen dort mit Freunden und Verwandten und spielen Fußball auf dem platten Wüstensand.

Was den Krieg betrifft, herrscht eher eine Atmosphäre der Verleugnung, sagt der Journalist al-Ansi, der, wie sein völlig mit Lehm und Sand verschmutzter Jeep bezeugt, gerade selber von einem Wochenendausflug in die Wüste zurückgekehrt ist. Er, seine Frau und seine drei Kinder hätten noch nichts zur Vorbereitung auf einen Krieg unternommen. Weder habe man ein Lager mit Trinkwasser und haltbarem Essen angelegt noch Gasmasken besorgt oder einen Raum im Haus gegen chemische oder biologische Kampfstoffe abgedichtet. „Ich kenne niemanden, der das gemacht hat, weil es bisher kein richtiges Kriegsultimatum gibt“, sagt er. „Schau dich um, die Leute flanieren durch die Shopping-Malls oder sitzen vor dem Fernseher und schauen Seifenopern.“ Alles scheint ganz normal. Alle geben sich zumindest nach Außen hin zuversichtlich, dass der Krieg schnell vonstatten gehen wird und dass die Amerikaner alles daran setzen werden, das Land zu schützen – weniger für die Kuwaitis als für die Sicherheit der eigenen US-Boys im Land. Immerhin kommt derzeit auf 47 kuwaitische Staatsbürger ein amerikanischer GI im Land.

Das Schaufenster der Firma Ahmad Saleh & Söhne in der Innenstadt von Kuwait-Stadt schmücken zwei altertümliche Ritterrüstungen. Eigentlich hofft der Military Supply Laden eher auf das Geschäft mit der modernen Kriegsführung. Oder besser gesagt: mit dem Schutz davor, wie eine Schaufensterpuppe im anderen Fenster beweist, die voll bekleidet im Sicherheitsanzug und Gasmaske den Kunden zur Vorsorge mahnt. Doch der erwartete Gasmaskenboom ist ausgeblieben. Bisher haben sich seine tschechischen Sigma-Masken für 60 Dinar, also umgerechnet 180 Euro, als Ladenhüter erwiesen, klagt der indische Verkäufer. Einzige Besucher seines Ladens sind ein kuwaitischer Händler, der die Gasmaskenszene in der Stadt abcheckt, um demnächst vielleicht selbst ein paar deutsche Masken zu importieren. Und ein Journalist, der ihn über den Verkauf seiner Masken ausfragt. Mit beiden ist kein müder Dinar zu machen.

Der Mann bleibt dennoch zuversichtlich: Er kenne seine kuwaitischen Pappenheimer. Wie immer werden sie in allerletzter Minute angerannt kommen.