Freiwillige Selbstausbeutung für die Kunst

Das Kino im Sprengel wird 20 und zeigt in seinem Jubiläumsprogramm Avantgardistisches, Politisches und Amüsantes. Die Filmexoten des Kinokollektivs in Hannover können zurückblicken auf eine bewegte Geschichte von Hausbesetzern und Preisen

Peter Lilienthal, der Herr mit dem berühmten Vorfahren, wird zum Jubiläum nach Hannover eingeflogen. Aus familiärer Verbundenheit schwöre der 79-jährige Filmemacher auf dieses Transportmittel, erzählt Johanna Kienitz vom Kino im Sprengel.

Lilienthal und sein Film „Camilo“ über den ersten Kriegsdienstverweigerer des letzten Irakkriegs sind eine von vielen raren Kinoperlen des zweimonatigen Jubiläumsprogramms, mit dem das Off-Kino seine 20-jährige bewegte Geschichte feiert.

Seit 1988 hat sich eine Gruppe Hannoveraner Filmverliebter dem avantgardistischen Kino verschrieben. Sie arbeitet nach eigenen Angaben „in ehrenamtlicher Selbstausbeutung“ daran, es auch dem Rest der Welt zugänglich zu machen. Mit Erfolg: Den bundesweiten Kinopreis des Kinemathekverbunds gewannen sie zweimal, den niedersächsischen Programmpreis jedes Jahr seit es ihn gibt.

Die ersten Filme liefen in den besetzten Räumen der alten Schokoladenfabrik auf dem Sprengelgelände. Die hintere Fassade fehlte, deswegen nannten sie es „Themroc“ – in Anlehnung an den französischen Kultfilm, in dem der Protagonist in einer Wohnung ohne Außenwand haust. Zehn Veranstaltungen konnte das Kinokollektiv organisieren, 1.000 Besucher kamen, dann ließ die Stadt das Gebäude nach drei Monaten räumen. Die Filmliebhaber suchten in den folgenden Wanderjahren nach anderen Orten, an denen sie ihre avantgardistische Idee von Kino an die Wände projizieren konnten – unter freiem Himmel oder in der Bürgerschule.

Nach drei Jahren Odyssee okkupierten sie dann einen ehemaligen Werkstattraum der Kofferfabrik auf dem Sprengelgelände. Spenden, Fördermittel des Landes und viel Herzblut ermöglichten 1992 einen regulären Kinobetrieb. Nach einigen rechtlich ungewissen Jahren konnte der Trägerverein Sprengel mit der Stadt Hannover 2000 einen Erbpachtvertrag aushandeln und sich seit dem mit aller Energie dem Zeigen unkonventioneller Filme widmen.

Das, was sie am meisten an ihrem Kino liebe, sei, dass man als Gruppe etwas auf die Beine stelle, sagt Kinosprecherin Kienitz, die seit fast vier Jahren Teil des Kollektivs ist. „Es ist schön, ernst genommen zu werden und Anerkennung zu finden für das, was man tut.“ Da sei es nicht so tragisch, wenn man während mancher Vorstellung nur drei Besucher habe: „Zu anderen Vorstellungen kommen wieder 100.“ Das deutsche Publikum tue sich schwer mit anspruchsvollen Filmen. „Die Sehgewohnheiten und die Filmkultur sind einfach andere als beispielsweise in Frankreich“, sagt sie. „Wir bemühen uns, den Menschen ein offeneres Verständnis für Film zu vermitteln.“

Um diesem selbstgewählten Bildungsauftrag und auch dem eigenen Interesse nachzukommen, zeigen sie Filme, die in ihrer Machart und Thematik nichts mehr mit Hochglanz-Hollywood-Streifen gemein haben. Sie wollen sperrig und authentisch sein, laden die Filmemacher zur Diskussion mit dem Publikum, geben Einführungen und ordnen die Filme in thematische Reihen ein.

Am heutigen Freitagabend wird beispielsweise Leo Schönecker, der der einzige nennenswerte Verleiher von 16mm-Filmklassikern in Deutschland ist, Kultkurzfilme wie „The great train robbery“ von 1903 präsentieren. Nächste Woche kommen dann die spanischen Untergrundregisseure und Konzeptkünstler Pere Portabella und Charles Santos mit einer Retrospektive.

Die cineastische Aufklärungsarbeit des Kinos am Sprengel lässt auch Skurrilitäten Raum. So wurde beispielsweise eine Reihe von Filmen gezeigt, in denen Fliegen eine Rolle spielen. Die Philosophie der Kinomacher ist schließlich, keine Traumwelten zu zeigen, sondern Realitäten. ELISABETH WEYDT