Hoffentlich kann er die Allianz versichern

Michael Diekmann soll als neuer Vorsitzender im Frühjahr den Assekuranzriesen aus den Miesen holen

Michael Diekmann soll der Neue an der Spitze der Allianz heißen. Für die Öffentlichkeit kam die Berufung ähnlich überraschend wie für den Personen-Infodienst Munzinger – beide kannten Diekmann bislang nicht.

Beobachter halten den Nachfolger für den Ziehsohn des alten Allianz-Chefs Henning Schulte-Noelle. Aber wie viele andere Söhne könnte auch er bald Gefallen an der Rebellion finden. Dafür gibt es gute Gründe, da Schulte-Noelle seinem Nachfolger viele Streitigkeiten hinterlässt.

Diekmann (47) wird nach der Hauptversammlung am 29. April 2003 den Vorstandsvorsitz des weltweit führenden Versicherungskonzerns übernehmen. Ein Überraschungscoup, wie der jetzige Amtsinhaber hofft, der seinen Nachfolger selbst bestimmte. Überraschend wohl auch für den Vater dreier Kinder, der von „gemischten Gefühlen“ sprach, die ihn bewegen. Die darf er auch haben, denn die Allianz, eins der Vorzeigeunternehmen der Deutschland AG und gemeinsam mit der befreundeten Deutschen Bank einer der mächtigsten Konzerne im Lande, lebt derzeit vom Eingemachten. Dies muss Diekmann bald ändern. Der Neue steht jedoch vor einem Dilemma. Die taumelnden Börsenkurse haben das Kapital angefressen, die niedrigen Zinssätze lassen kaum vernünftige Erträge zu. Der Kauf der Dresdner Bank droht ein teurer Flop zu werden. Zudem wachsen die Schäden durch Umweltkatastrophen und Terroranschläge gewaltig, der US-Tochter drohen milliardenschwere Asbest-Klagen von kranken Opfern. Die Probleme summierten sich im dritten Quartal zu einem Rekordverlust von 2,5 Milliarden Euro, dem schlechtesten Ergebnis in der Firmengeschichte. Trotzdem ist der Assekuranzgigant im Kern gesund.

Wer mit dem Nickelbrillenträger Diekmann spricht, ahnt, dass er diese Probleme nicht nur anpacken muss, sondern es auch will. So heißt es jedenfalls im Aufsichtsrat. Heimlich ist Diekmann wohl froh, von Schulte-Noelle – bis vor einem Jahr noch Übergott der deutschen Wirtschaftsführer, nun ein gewöhnlicher Sterblicher – hauptsächlich offene Fragen zu erben. Diekmanns Antworten werden gespannt erwartet.

„Im nächsten Mai werde ich genau 15 Jahre bei der Allianz sein“, freut sich Diekmann denn doch über Jubiläum und Posten. Der Ziehsohn ist also mitten in der Allianz-Pubertät. Studiert hat der designierte Allianz-Chef neben der Rechtswissenschaft auch Philosophie in Göttingen. Es folgten Lehrjahre im familieneigenen Fachverlag, bis er zum Versicherungsmann mutierte.

Bis heute hat Diekmann die Allianz in den unterschiedlichsten Aufgaben im In- und Ausland kennen gelernt, und im Betrieb und im Vertrieb in Hamburg-Harburg, Hannover, Köln und München gearbeitet. 1996 wechselte er nach Singapur, um die Allianz-Aktivitäten im asiatisch-pazifischen Raum zu leiten. Später kamen Osteuropa, der Nahe Osten, Afrika und Südamerika hinzu. Heute leitet er das Amerika-Geschäft und ist international für das Personalwesen verantwortlich. „Diese unterschiedlichen Perspektiven und Kontakte haben mich geprägt und mir einen sehr guten Eindruck davon vermittelt, wo die Allianz in den verschiedenen Märkten einzuordnen ist und wo die Chancen und Risiken liegen“, sagt Diekmann, nicht ohne Siegesgewissheit. Ein Sohn halt.

HERMANNUS PFEIFFER