MONTAGSINTERVIEW MIT JAN STÖSS: "Zum Glück leben noch alle"

Als Königsmörder sieht sich Jan Stöß nicht. Auch Klaus Wowereit will der neue SPD-Chef nicht zur Strecke bringen. Allerdings stellt er Bedingungen. Und die CDU vor eine schwere Probe.

Jan Stöß ist neuer SPD-Chef. Den Sieg feierte er mit Quartiermeisterbier für 1,50 Euro. Bild: Wolfgang Borrs

taz: Jan Stöß, Sie sind bekannt als Krimifan. Wem gelten Ihre Sympathien? Dem Mörder oder dem Kommissar?

Jan Stöß: Als Richter sympathisiert man doch eher mit dem Kommissar.

Wenn man die Berliner SPD als Krimi liest, wären Sie allerdings der Mörder. Sie haben den bisherigen Landesvorsitzenden Michael Müller zur Strecke gebracht.

Das Bild ist ja völlig schief. Es leben zum Glück alle noch. Alle Protagonisten sind in wichtigen Funktionen, und ich habe keinen Zweifel, dass wir weiter gut zusammenarbeiten werden.

Es könnte aber auch sein, dass das erst der Anfang einer kleinen Mordserie war – mit dem Königsmord an Klaus Wowereit als großem Finale.

Sie sind von Ihren Mordfantasien ja gar nicht mehr abzubringen. Mit Klaus Wowereit wird es eine sehr lebendige und gute Zusammenarbeit geben.

Herr Stöß, vor mehr als einer Woche wurden Sie neuer Landesvorsitzender der Berliner SPD. Haben Sie gefeiert?

An dem Abend haben wir im Willy-Brandt-Haus das erste deutsche EM-Spiel gesehen. Bei mir persönlich war da vor allem das Gefühl der Verantwortung, die nun auf meinen Schultern ruht. Die Fußstapfen, in die ich trete, sind nicht gerade klein.

SPD-Chef: 123 zu 101 Stimmen: Mit diesem Ergebnis endete ein wochenlanger Machtkampf um den SPD-Vorsitz. Seit dem Parteitag am 9. Juni ist Jan Stöß Vorsitzender der Berliner SPD. Er löst damit Michael Müller ab.

Linker: Jan Stöß ist seit 2008 Vorsitzender des Kreisverbands Friedrichshain-Kreuzberg und seit Februar Sprecher des einflussreichen linken Flügels in der SPD. Für seine Wahl hat er auch ein Bündnis mit der SPD-Rechten geschlossen.

Richter: Stöß studierte von 1994 bis 2000 Jura in Göttingen und Berlin. Nach einem Intermezzo als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag arbeitet er seit 2007 als Richter beim Verwaltungsgericht. Von 2010 bis 1011 war er Finanzstadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg.

Elternhaus: Jan Stöß wurde 1973 in Hildesheim geboren. Sein Vater hat vom zweiten Bildungsweg profitiert und wurde Hauptschullehrer. Stöß ist der Erste in seiner Familie, der studiert hat.

Wie teuer war der Champagner?

Es gab Quartiermeisterbier. Das kostet bei uns im Willy-Brandt-Haus 1,50 Euro.

Wenn Sie nach dem teilweise emotionalen Wahlkampf die Hand zur Versöhnung ausstrecken: Was haben Sie da zu bieten?

Ein umfassendes Angebot zur Gemeinsamkeit. Es ist wichtig, dass im neuen Landesvorstand alle Kreisverbände vertreten sind. Wir haben mehr Frauen im Vorstand als je zuvor. Und auch mehr Menschen mit Migrationshintergrund.

Hat Ihnen Sigmar Gabriel, der Bundesvorsitzende, schon gratuliert?

Ja, hat er.

Was hat er gesagt?

Das ist persönlich. Aber natürlich sind sich Sigmar Gabriel, der Regierende Bürgermeister und ich einig, dass wir jetzt diese Koalition, die wir in Berlin haben, zum Erfolg führen wollen. Und dass wir den Berliner Landesverband möglichst stark und geschlossen in den Bundestagswahlkampf führen müssen.

Die Berlinerinnen und Berliner müssen sich erst noch mit Ihnen als neuem SPD-Chef vertraut machen. Sie können ihnen helfen, wenn Sie uns fünf Eigenschaften nennen, die Ihnen ganz besonders wichtig sind.

Ich bin ein ganz gelassener Typ, verliere meinen Humor eigentlich selten und fahre fast immer Fahrrad, das ist allerdings keine Eigenschaft.

Sagen wir also sportlich.

(lacht) Und natürlich links. Und ich freue mich, wenn Leute sagen, dass ich ausgleichend und integrativ bin.

Was hat Sie bewogen, zur SPD zu gehen? Damals waren Sie 17 Jahre alt. Waren die Grünen da nicht cooler?

Die Jusos waren einfach nicht so bürgerlich wie die Grünen, und ich hatte mindestens damals eine sozialistische Grundeinstellung. Da wären die uncoolen Grünen nie infrage gekommen. Tut mir leid.

Ihr Eintritt in die SPD war 1990. Das war mit Oskar Lafontaine an der Spitze. Waren Sie mit ihm auch gegen die Wiedervereinigung?

Nein. Es stimmt auch nicht, dass die SPD damals die Wiedervereinigung nicht wollte. Für mich war der Fall der Mauer ein absolut einschneidendes Erlebnis.

Spielte Oskar Lafontaine eine Rolle bei Ihrem Eintritt?

Ja. Die Politik eines neuen Weges, des Neuanfangs nach den Kohl-Jahren, das hat mich damals überzeugt.

Wenn er keine Fahnenflucht begangen hätte, wäre er heute noch ein Vorbild für Sie?

Er hat den Parteivorsitz einfach so hingeschmissen wie einen abgetragenen Mantel. Das war eine Schande. Am Ende stand ihm doch vor allem sein Alphamännchen-Gehabe im Weg.

Sie kommen aus einem wenig privilegierten Elternhaus und waren der Erste in Ihrer Familie, der studierte. Gab es da auch eine Dankbarkeit gegenüber der SPD und ihrer Bildungspolitik?

Das hat definitiv eine Rolle gespielt. Mein Vater konnte später über den zweiten Bildungsweg Hauptschullehrer werden. Dieses Aufstiegsversprechen als zentrales Moment sozialdemokratischer Politik, damit bin ich groß geworden.

Hat auch Ihr Schwulsein zur Politisierung beigetragen?

Nein. Das ist Teil meiner Persönlichkeit, aber nicht meiner Politik.

Während Ihrer Studienzeit in Göttingen ebbte das politische Engagement merklich ab. Weil Sie sich – im Sinne preußischer Pflichterfüllung – ganz und gar dem Jurastudium gewidmet haben? Oder war da auch eine Portion Hedonismus im Spiel?

(lacht) Ich fürchte, Letzteres. Ich habe auch schon nach drei Semestern nach Berlin gewechselt, da gab es dann erst recht viel fürs Leben zu lernen – an preußische Pflichterfüllung war nicht wirklich zu denken. Aber ich bin froh, dass ich am Ende eine Ausbildung abgeschlossen habe, die mich auch unabhängig von der Politik macht.

Dann reden wir doch einen Satz über den Hedonismus: Ist denn die SPD die Partei, die verstanden hat, wie das moderne, junge Berlin tickt? Oder ist es auch Ihr Job, da ein bisschen frischen Wind reinzubringen?

Jemand wie ich kann in der Berliner SPD Landesvorsitzender werden – ein 38-Jähriger Linker, Zugezogener, dessen Heimat ganz klar Berlin ist: Das zeigt doch, dass die SPD eine Partei ist, die sehr offen ist für Neues. Die SPD verkörpert das Berlingefühl wie keine andere Partei.

Was ist denn Ihr Berlingefühl?

Ich finde es positiv, dass die Stadt so international geworden ist. In Berlin wird inzwischen auch italienisch, französisch oder spanisch gesprochen. Wir sind eine wirkliche Weltgegend geworden. Außerdem spielt es keine Rolle, woher man kommt, was man spricht, an wen man glaubt oder wen man liebt. Das finde ich ganz toll.

Sie sprechen jetzt über eine ganz andere Welt als die der Hartz-IV-Empfänger und Modernisierungsverlierer, die es in Berlin auch gibt.

Nehmen Sie den Wrangelkiez: Ich finde es nicht schlecht, was sich da verändert hat. Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, man hätte das auf dem Stand von 1985 konservieren sollen, weil man da auf der Straße noch Fußball spielen konnte. Da ist die Lebensqualität heute doch eine ganz andere.

Weil die Besserverdienenden den Wrangelkiez erobert haben?

Nicht nur. Es ist sicherer geworden und auch internationaler. Es sind auch Nachbarschaftsinitiativen und Feste im Kiez entstanden, die den sozialen Zusammenhalt stärken.

Jetzt sprechen Sie wie ein Projektentwickler und nicht wie der Sprecher der SPD-Linken, der gerade Landesvorsitzender seiner Partei geworden ist und mehr Engagement im Kampf gegen Mietsteigerungen fordert.

Gegenfrage: Was sollte denn ein SPD-Linker sagen? Alles beim Alten lassen und jede Veränderung bekämpfen? Das werden Sie bei mir nicht vorfinden. Die Politik der SPD ist es, dafür zu sorgen, dass auch im Wrangelkiez Menschen mit geringerem Einkommen wohnen bleiben können. Ich finde schon, dass es ein Recht darauf gibt, auch in der Innenstadt zu leben.

Was ist links für den Sprecher der Berliner Linken, wenn es um die Stadtpolitik geht?

Links bedeutet vor allem, dass man die ökonomische Verteilungsfrage ernst nimmt. In der Stadtpolitik heißt das, dass es weiterhin eine soziale Mischung geben muss. Dann die Orientierung auf Arbeitnehmerinteressen und ein enger Kontakt zur Gewerkschaftsbewegung. Und bei allem: der Kampf für Toleranz und Offenheit.

Haben Sie deshalb ein innerparteiliches Bündnis mit der SPD-Rechten in Neukölln geschmiedet? Mit dem Sarrazin-Freund Buschkowsky für ein offenes und multikulturelles Berlin?

Sie werden lachen. Ich finde schon, dass die Neuköllner SPD und das Bezirksamt sich dort ernsthaft um die Probleme kümmern. Das ist keine ideologische Verblendung, sondern der Wunsch, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern.

In den drei Antworten auf die Frage nach linker Politik fiel nicht das Stichwort „öffentliche Daseinsvorsorge“.

Da ist so sehr SPD-Kernthema geworden, dass ich es gar nicht mehr ausdrücklich nennen muss. Im Ernst: Als wir 2005 bei uns im Kreisverband gesagt haben: Das, was da mit dem Wasser passiert ist, ist eine Katastrophe, wurden wir sehr stark ausgegrenzt. Mittlerweile ist die Forderung nach Rekommunalisierung und einer starken öffentlichen Daseinsvorsorge mehrheitsfähig. Heute wissen wir, dass eben nicht alle Aufgaben von Privaten erfüllt werden können. Ganz im Gegenteil.

Ist die Aufgabe, S-Bahnen fahren zu lassen, von der S-Bahn GmbH, der Tochter eines öffentlichen Unternehmens, auch gut erfüllt worden?

Nein, sie ist sehr schlecht erfüllt worden. Die Politik hat da auf einen Börsengang der Bahn gesetzt. Damit hat man die S-Bahn als Tochter der Bahn in ernste Schwierigkeiten gebracht.

Nun ist der Kelch der Privatisierung an der Bahn erst mal vorbeigegangen. Heißt das für Sie, dass die S-Bahn GmbH ab 2017 weiter der natürliche Betreiber sein muss? Den Betrieb an die BVG oder ein noch zu gründendes kommunales Unternehmen zu geben, wäre für das Land schließlich finanziell nicht zu stemmen.

Es stimmt, da gibt es große Widerstände. Ob man das auch in kommunaler Regie machen kann, ist nie richtig durchgerechnet worden. Ich kann mit der S-Bahn GmbH jedenfalls besser leben als mit privaten Anbietern und der Situation, dass wir am Ende drei oder vier Private haben, die das Netz befahren.

Herr Stöß, Sie erklären uns gerade, dass Ihre Position als SPD-Chef mit der des Koalitionsvertrags nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Dort steht, dass es eine Teilausschreibung gibt, wenn eine Ausschreibung des gesamten Netzes rechtlich nicht möglich ist.

Abgeordnetenhaus und Senat beraten hierzu. Ich finde es gut, dass alle Seiten nach der wirklich besten Lösung suchen.

Die Frage einer Gesamtausschreibung prüft derzeit der Wissenschaftliche Parlamentsdienst. Wenn er zu der Auffassung kommt, dass das nicht geht, was machen Sie dann?

Warten wir das Gutachten doch erst einmal ab.

Muss man den Koalitionsvertrag an dem Punkt notfalls noch mal aufschnüren?

Ich bin skeptisch, ob die CDU überhaupt der Auffassung ist, dass es bei der S-Bahn viele private Betreiber geben soll. Mein Eindruck ist, dass beide Regierungsparteien eine solche Situation schwierig fänden.

Haben Sie mit Frank Henkel, Ihrem Kollegen als Landesvorsitzendem bei der CDU, darüber schon gesprochen?

Wir treffen uns bald. Da werden wir dann natürlich über alle aktuellen Themen reden.

Wer müsste in Berlin denn mehr Angst vor Neuwahlen haben? Die SPD oder die CDU?

In Berlin wird es keine Neuwahlen geben.

Sie schließen einen Bruch von Rot-Schwarz aus?

Ja.

Bis zum Ende der Legislaturperiode 2016?

Wir werden mit der CDU bis zum Herbst 2016 regieren. Bisher macht dieser Senat doch eine ordentliche sozialdemokratische Politik.

So hat das auch Raed Saleh, der SPD-Fraktionsvorsitzende, bei seiner Antrittsrede im Abgeordnetenhaus beschrieben. Die CDU war not amused.

Durchaus treffend hat er das im Plenum so vorgetragen, auch CDU-Abgeordnete klatschten da.

Herr Stöß, Sie sind hauptberuflich Richter am Verwaltungsgericht. Wo nehmen Sie die Kraft her, das durchzustehen? Wo tanken Sie auf?

Ich würde mich als glücklichen Menschen betrachten – wenn ich etwas zu tun habe. Aber zwischendurch muss ich schon mal in den Urlaub fahren. Und beim Fahrradfahren kann man auch über sich selbst nachdenken.

Wenn Herr Nußbaum über seinen Schatten gesprungen wären und Sie wären nun Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Finanzen, wären Sie dann auch SPD-Landesvorsitzender?

Ihre Frage enthält ja eine Unterstellung, die nicht richtig ist. Richtig ist aber, dass ein Landesvorsitzender nicht Weisungen von anderen unterliegen sollte.

Rache ist auch ein Motiv, das Ihnen als Krimifan vertraut sein dürfte. Haben Sie nur deshalb kandidiert, weil Sie nicht Staatssekretär geworden sind?

Zu Herrn Nußbaum habe ich ein völlig geklärtes, gutes Verhältnis. Da gibt es nichts zu rächen.

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