Knochenfunde und Kopfpräparate: Schädel sehen dich an

Kulte und Rituale mit Schädeln gab es fast immer in der Geschichte der Menschheit. Auf allen Kontinenten sind die für uns heute sehr fremden Kultgegenstände zu finden.

Ein Schädel, vermutlich aus Afrika, mit Vorhängeschlössern, Fäden und einem Holzstück aus der Mannheimer Ausstellung "Schädelkult". Bild: dpa

MANNHEIM taz | Kann man abgetrennte Köpfe schöner präsentieren? In voradventlichem Schummerlicht blicken sie uns aus ihren Vitrinen vor taubenblauem Hintergrund an, ob nun nature, mit Blei graviert oder geräuchert mit bunten Federbüscheln über den Ohren.

Seit Anfang Oktober und noch bis zum 29. April 2012 stellen die Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim unter dem Titel "Schädelkult" über 300 Schädelfunde und Kopfpräparate aus.

Kommentiert werden sie von literarischen Zitaten an den Wänden wie zum Beispiel Wilhelm Buschs Spruch: "Selbst mancher Weise besieht ein leeres Denkgehäuse mit Ernst und Bangen - der Rabe ist ganz unbefangen".

"Gruseln tut sich hier niemand, nicht einmal die Kinder", sagt ein junger Museumsführer im Brustton der Überzeugung. Als "makaber" und "schauerlich" hatten einige Artikel in der Presse das Unterfangen bezeichnet. Doch der Vorwurf, die Museen störten die Totenruhe, wurde diesmal nicht sehr laut.

Dass sich Kulte um den Schädel ebenso wie Kultgegenstände aus Schädeln als zentrales Phänomen durch die gesamte Menschheitsgeschichte und über alle Kontinente ziehen, lässt sich angesichts dieser Ausstellung nicht mehr bestreiten.

Als Unrechtskontext bezeichnen es Museumsleute, wenn Gegenstände, besonders aber human remains (menschliche Überreste) durch Mord oder Genozid, zum Beispiel das Aushungern von Menschen in Konzentrationslagern, gezielt erbeutet wurden.

Eine Repatriierung (Rückholung) halten fast alle VertreterInnen großer deutscher Museen in solchen Fällen für selbstverständlich. Größte Zweifel hegen sie aber, wenn menschliche Überreste kunstvoll mumifiziert wurden.

Wie etwa bei den Maori, denen die spirituelle Nähe zu ihren Ahnen besonders wichtig war. Sie begraben heute aber häufig Ahnenschädel christlich, obwohl ihre Vorfahren sie für die Ewigkeit präpariert hatten.

Viele Museumsfachleute befürchten hier, durch eine Repatriierung wertvolles Kulturgut zur Vernichtung freizugeben. Auch haben sie Angst vor leeren Museen nach einer Repatriierungslawine. (bak)

Dies erstmals dokumentiert zu haben ist das Verdienst von Reiss-Engelhorn-Generaldirektor Alfried Wieczorek und dem Kurator der Ausstellung, Wilfried Rosendahl. Und wem dies durch die sinnliche Präsenz der Exponate noch nicht klar genug geworden war, der hatte vor wenigen Tagen im Mannheimer Museum der Weltkulturen auf einem interdisziplinären Symposium mit über dreißig Vorträgen Gelegenheit, seine Einsicht zu vertiefen.

Frappierend deutlich wurden dabei zum Beispiel gemeinsame Elemente in der Vielfalt historischer Formen von Schädeljagd. Immer galt der Schädel als Sitz der Lebenskraft, oft der Seele.

Die Kraft des Getöteten ging im Zuge seiner besonderen Behandlung auf den Täter und auf dessen Stamm über. Gleichzeitig musste das Opfer besänftigt werden, damit es sich nicht rächte - ob man den Schädel nun fütterte oder mit ihm als Maske tanzte.

Anders als oft das Schießen in einem modernen Krieg ließ sich die Kopfjagd nicht mal so eben im Vorübergehen erledigen. Wer sie vollbrachte, wurde vielerorts lange zum Außenseiter.

Reinigungsrituale

Andreas Schlothauer, Experte für außereuropäische Kunst, schilderte eindringlich, wie sich der Jivaro-Täter an den Hängen der Anden hinterher in wochenlangen Zeremonien unter Anleitung eines Heilers reinigte, wobei er den Schrumpfkopf des Opfers in heißem Wasser simmern ließ, bis er zuletzt selbst ganz von Brandwunden übersät war.

Dann begann der Siegeszug des weißen Mannes über die Kontinente. Die Kolonialisatoren sammelten nunmehr extra fabrizierte Schädel für die Lieben daheim und für ihre Museen Skelette - die der indigenen Völker. Diese fordern sie heute vielerorts zurück.

Erst Ende September hatte die Berliner Uniklinik Charité 20 Schädel von Vertretern der Nama und Herero aus dem heutigen Namibia zurückgegeben, von deutschen Besatzern im Zuge eines Ausrottungskrieges im damaligen Deutsch-Südwestafrika requiriert.

"Wenn ein Unrechtskontext wie dieser vorliegt, bin ich immer für Repatriierung", erklärte der Mannheimer Kurator Wilfried Rosendahl, "aber nicht bloß einem Zeitgeist zuliebe".

Maori forden Rückgabe

Neuseeland verfügt seit Anfang des Jahrtausends über ein von der Regierung unterstütztes Repatriierungsprogramm. Die Maori nehmen ihre jeweils persönliche Beziehung zu den Ahnen peinlich genau und fordern heute kunstvoll tätowierte, mumifizierte Ahnenschädel zurück.

Diese sogenannten Toi moko wurden hergestellt, um auf alle Ewigkeit bei großen Familienfesten erfreut zuzuschauen. Heute bestattet man sie oft christlich.

"Kann es nicht sein, dass sich deren Enkel eines Tages ihren traditionellen Religionen wieder näher fühlen und allen dankbar sein werden, die diese Kulturzeugnisse für sie aufbewahrten?", fragte ein Diskussionsteilnehmer.

Estella Weiss-Krejci, Dozentin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien, hat Mitte September beim jährlichen Kongress der European Association of Archaeologists (EAA) in Oslo eine Session zum Thema Repatriierung organisiert.

Forderungen und Gesetze

"Es rollt da aus dem anglophonen Bereich eine Welle auf uns zu", sagt sie. "Wir haben sie bisher in Zentraleuropa ignoriert, aber sie wird kommen. Deshalb müssen wir als Wissenschaftler uns jetzt schon positionieren und die Sachlage untersuchen - bevor wir mit massiven Restitutionsforderungen und Gesetzesinitiativen unserer Politiker konfrontiert werden. Tote Körper sind sehr politisch".

Die Österreicherin hat sich vor allem mit Exhumierungen und Wiederbestattungen, unter anderem von Adeligen, in Osteuropa nach dem Fall des Kommunismus beschäftigt. In Oslo war sie von den Thesen der schwedischen Anthropologin Liv Nilsson Stutz beeindruckt.

Diese besagen, kurz zusammengefasst: Was in einem postkolonialen Kontext wie ein progressiver Zug zugunsten der Emanzipation eines Volkes wirkt, könnte auch von reaktionären nationalistischen Kräften innerhalb dieses Volkes benutzt werden.

Transparenz ist notwendig

Nichts übereilen, nicht über die eigenen Bestände lügen und gemeinsam mit Vertretern der fordernden Völker nach neuen Lösungen suchen - so etwa lautet die Quintessenz der Mannheimer Diskussion von Anthropologen, Ethnologen, Archäologen, Weltreisenden und Museumsleuten bei Repatriierungsfragen.

Die Kultschädel aller Kontinente sind in Mannheim auf den Tisch gekommen und werden dort erst einmal bleiben. Die Zukunft der Schädeljagd dagegen geht wohl bald zu Ende. Die Naga in Nordindien, die sie gelegentlich noch betreiben, werden von Missionaren und der eigenen Regierung zunehmend daran gehindert. In ihrer Not greifen sie zu einem auf diesem Symposium nicht diskutierten Ausweg: Kopien aus nachwachsendem Rohmaterial.

Der Reiseschriftsteller Peter van Ham erlebte, wie Naga eine mit Glasperlen geschmückte Rübe in den Tiefen eines feindlichen Territoriums deponierten, damit die Jugendlichen des eigenen Stammes Gelegenheit hatten, sie dort zu "erobern".

Die Ausstellung „Schädelkult“ ist noch bis Ende April 2012 im Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim, zu sehen.

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