+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Ägypten baut Riesenlager

Kairo plant angeblich gigantisches Auffanglager.​ Israel wirft UN Behinderung von Gaza-Hilfe vor. Netanjahu spricht sich gegen Zweistaatenlösung aus.

Zwei Männern knien vor eingewickelten Leichen.

Rafah in Satellitenaufnahme: Hunderttausende haben sich hierher geflüchtet Foto: reuters

Bericht: Lager in Ägypten für mehr als 100.000 Menschen

Ägypten baut aus Sorge vor einer Massenflucht aus dem Gazastreifen im Fall einer Bodenoffensive Israels in Rafah einem Medienbericht zufolge in der Wüste ein massives Auffanglager umzäunt von hohen Betonmauern. In dem nahe der Grenze zum Gazastreifen auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel gelegenen Lager könnten mehr als 100.000 Menschen in Zelten untergebracht werden, berichtete die Zeitung Wall Street Journal am Donnerstag unter Berufung auf ägyptische Beamte und Sicherheitsanalysten.

Seit Wochen versucht Ägypten, die Sicherheit entlang der Grenze zum Gazastreifen mit Soldaten, Zäunen und gepanzerten Fahrzeugen zu erhöhen, um zu verhindern, dass es zu einem Ansturm verzweifelter Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen auf die Halbinsel Sinai kommt. Das geplante Lager sei Teil eines Notfallplans für den Fall, dass einer großen Zahl Palästinensern eine solche Flucht gelingt.

Der Gouverneur der ägyptischen Region Nordsinai habe am Donnerstag erste Berichte über den Bau eines potenziellen Flüchtlingslagers für Palästinenser dementiert und erklärt, die Aktivitäten in dem Gebiet seien Teil einer Bestandsaufnahme der Häuser, die während Ägyptens vergangener Militärkampagne gegen die Extremisten des „Islamischen Staates“ (IS) in dem Gebiet zerstört worden seien, hieß es.

Im Falle eines größeren Ansturms von Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen aus Gaza würde Ägypten versuchen, die Zahl der Flüchtlinge im Idealfall auf etwa 50.000 bis 60.000 zu begrenzen, auch wenn das neue Wüstenlager mit einer Fläche von rund 20 Quadratkilometern mehr als 100.000 aufnehmen könnte, berichtete das Wall Street Journal. Das entspricht der Einwohnerzahl von Cottbus. Das geplante Lager sei weit von ägyptischen Ortschaften entfernt gelegen, hieß es. Eine große Anzahl von Zelten sei bereits dorthin gebracht worden, bislang aber nicht aufgebaut, zitierte die Zeitung ägyptische Beamte. (dpa)

Dutzende Festnahmen bei Stürmung von Klinik

Israels Armee begann derweil nach eigenen Angaben am Donnerstag einen Einsatz in einer Klinik in Chan Junis, das wie Rafah im Süden Gazas liegt. Soldaten drangen in das Nasser-Krankenhaus ein, um Leichen von Geiseln zu bergen, teilte das Militär mit. Es seien Dutzende Tatverdächtige festgenommen worden, sagte der israelische Militärsprecher Daniel Hagari am Donnerstagabend.

Einige seien am Massaker in Israel beteiligt gewesen. Aus Verhören mit den Verdächtigen sowie dank Aussagen der freigelassenen Geiseln könne die Armee bestätigen, dass aus Israel entführte Menschen auf dem Gelände der Klinik festgehalten wurden. Es lägen zudem Information vor, dass sich dort auch Leichen von Geiseln befinden.

Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen erhob nach dem Einsatz Vorwürfe gegen Israel. „Die Operation scheint Teil eines Musters zu sein: Israelische Streitkräfte greifen lebenswichtige zivile Infrastruktur an, insbesondere Krankenhäuser“, sagte UN-Menschenrechtssprecherin Ravina Shamdasani am Donnerstagabend in Genf.

Israels Armeesprecher Hagari betonte, das Militär sei bei allen Einsätzen in Krankenhäusern im Gazastreifen im Einklang mit dem Völkerrecht vorgegangen und werde dies auch weiterhin tun. „Wir haben nicht die Absicht, den Betrieb des Krankenhauses zu stören“, sagte er. (dpa)

Netanjahu: Israel lässt sich nicht zu Zweistaatenlösung zwingen

Israels Ministerpräsident Netanjahu bekräftigte unterdessen nach einem Telefonat mit US-Präsident Joe Biden seine Ablehnung einer Zweistaatenlösung. „Israel lehnt das internationale Diktat hinsichtlich einer dauerhaften Regelung mit den Palästinensern kategorisch ab“, schrieb Netanjahu in der Nacht zum Freitag auf X.

Eine solche Regelung könne nur durch direkte Verhandlungen zwischen den Parteien und ohne Vorbedingungen erreicht werden. Israel werde sich auch gegen die einseitige Anerkennung eines palästinensischen Staates wehren. Dies würde den Terrorismus „belohnen und jede künftige Friedensregelung verhindern“, schrieb er.

Israel hat laut der israelischen Zeitung Maariv die Sorge, die USA könnten im Rahmen der Bemühungen um eine Zweistaatenlösung einen palästinensischen Staat auch ohne Zustimmung Israels anerkennen. (dpa)

Sunak warnt vor Folgen einer Offensive in Rafah

Großbritanniens Premierminister Rishi Sunak schloss sich unterdessen den internationalen Warnungen vor den Folgen eines Militäreinsatzes in Rafah an. Sunak habe am Donnerstag mit Netanjahu telefoniert, teilte die Regierung in London mit. Sunak habe dabei erklärt, dass Großbritannien zutiefst besorgt sei wegen des Verlusts von Menschenleben in Gaza und der „potenziell verheerenden humanitären Folgen einer militärischen Intervention in Rafah“.

Es habe Priorität, eine humanitäre Pause zu verhandeln, um die Freilassung der Geiseln und deutlich mehr Hilfslieferungen nach Gaza zu ermöglichen. Sunak forderte Israel zudem auf, den Grenzübergang Kerem Schalom vollständig zu öffnen.

Israel fordert UN zu stärkerer Verteilung von Hilfsgütern auf

Israel hat unterdessen die Vereinten Nationen aufgefordert, die Verteilung von Hilfsgütern für die Menschen im Gazastreifen zu verbessern. Seit Tagen würden Hunderte Lastwagen-Ladungen mit humanitären Hilfsgütern am Grenzübergang Kerem Schalom nicht abgeholt, schrieb die für Kontakte mit den Palästinensern und humanitäre Hilfe zuständige israelische Cogat-Behörde am Donnerstag auf der Plattform X.

Hilfsorganisationen werfen Israel vor, die Verteilung von Hilfsgütern zu blockieren. Die Cogat-Behörde dementiert das. Israel kontrolliere mehr Lastwagen als letztlich von den Vereinten Nationen abgefertigt und weitergeleitet würden. Bundesaußenministerin Baerbock sprach sich am Donnerstag in Israel für deutlich mehr Hilfslieferungen aus – konkret 500 Lastwagen am Tag. So viel Lkw mit humanitären Gütern fuhren vor Kriegsbeginn täglich in das abgeriegelte Küstengebiet. Baerbock forderte in Israel dafür auch die Öffnung weiterer Grenzübergänge. (dpa)

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