+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Russland verlässt Schlangeninsel

Angeblich „freiwilllig“ räumt das russische Militär ein Eiland. Moskau verschärft die Mediengesetze. Putin findet G7-Chefs unattraktiv.

Zerstörte Gebäude in Lyssytschansk Foto: Oleksandr Ratushniak/reuters

Moskau verschärft Mediengesetze

Das russische Unterhaus hat die Gesetzgebung gegen ausländische und einheimische Medien weiter verschärft. Das am Donnerstag von der Duma in Moskau verabschiedete Gesetz gibt dem Generalstaatsanwalt und seinen Stellvertretern weitreichende Vollmachten: Sie können die Arbeit von ausländischen Medien in Russland einschränken oder untersagen, wenn deren Regierungen russische Medien „unfreundlich“ behandeln. Das auf der Parlaments-Website veröffentlichte Gesetz ermöglicht der Staatsanwaltschaft zudem die sofortige Suspendierung russischer Medien, wenn diese Informationen verbreiten, die als unwahr eingestuft werden, an „Respekt gegenüber Gesellschaft oder Verfassung“ mangeln oder die russischen Streitkräfte in Misskredit bringen. Ein Gericht muss nun nicht mehr vorher eingeschaltet werden.“. (afp)

Medwedew nennt Sanktionen als Grund für mehr Krieg

Der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, sagt, dass Sanktionen unter bestimmten Umständen als ein Akt der Aggression und eine Berechtigung für einen Krieg angesehen werden könnten: „Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass solche feindseligen Maßnahmen unter bestimmten Umständen auch als ein Akt internationaler Aggression gewertet werden können. Und sogar als Casus Belli“. Russland habe das Recht, sich zu verteidigen. (rtr)

Russlands meldet 6.000 Kriegsgefangene

Mehr als 6000 ukrainische Soldaten haben sich nach russischen Angaben ergeben oder wurden gefangen genommen. Der am Mittwoch organisierte und bislang umfangreichste Gefangenaustausch, bei dem 144 ukrainische Soldaten freigelassen worden seien, habe auf direkten Befehl des russischen Präsidenten Wladimir Putin stattgefunden, meldet die russische Nachrichtenagentur RIA und Berufung auf das Verteidigungsministerium in Moskau. (rtr)

Putin findet G7-Chefs unsexy

Der russische Staatschef Wladimir Putin hat sich abschätzig über das Aussehen westlicher Staats- und Regierungschefs geäußert. Auf die Frage nach einem Witz, den Teilnehmer des G7-Gipfels vor kurzem über ihn gemacht hatten, sagte Putin am Donnerstag: „Ich weiß nicht, wie sie sich ausziehen wollten, oberhalb oder unterhalb der Taille. Aber ich denke, es wäre in jedem Fall ein ekelhafter Anblick.“ Um gut auszusehen, müsse man einen zu hohen Alkoholkonsum „und andere schlechte Angewohnheiten“ aufgeben, und man müsse Sport treiben, sagte Putin. (ap)

Schwere Kämpfe um Frontstadt Lyssytschansk

Russland treibt seine Offensive im Osten der Ukraine voran. Die Frontstadt Lyssytschansk stand nach Angaben der Behörden am Donnerstag unter unerbittlichem Dauerbeschuss. Man versuche weiter, die verbliebenen rund 15.000 Einwohner in Sicherheit zu bringen. „Die Kämpfe gehen unaufhörlich weiter. Die Russen sind ständig in der Offensive. Es gibt keine Pause“, sagte der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Hajdaj.

Am Morgen hätten russische Truppen die Ölraffinerie von Lyssytschansk angegriffen. Die pro-russischen Separatisten in der Region erklärten, dass die Raffinerie bereits vollständig erobert sei. Auch alle Straßen in die Stadt würden von russischen und pro-russischen Kräften kontrolliert, sagte der Botschafter der selbst ernannten Volksrepublik Luhansk laut der russischen Nachrichtenagentur RIA.

Die russischen Truppen versuchen die Stadt einzukesseln. Nach der Eroberung der wochenlang umkämpften Nachbarstadt Sjewjerodonezk am Wochenende, ist Lyssytschansk die letzte größere Bastion der ukrainischen Streitkräfte in der Region Luhansk, die gemeinsam mit der Region Donezk den Donbass in der Ukraine bildet. Russland hat die Einnahme der Industrieregion Donbass als ein Hauptziel bezeichnet.

Auch rund um die nordöstliche Großstadt Charkiw gingen die Kämpfe weiter. Die russische Armee setze hier ihre Angriffe mit Panzern, Mörsern und Raketen fort, teilte das ukrainische Militär mit. Auf einem Video waren Polizisten und Rettungskräfte zu sehen, die am Mittwoch die zerstörten Überreste einer Fabrik und beschädigte Wohngebäude in Charkiw durchsuchten. In dem beschossenen Gebiet habe es keine Militäreinheiten gegeben, sagte der Polizeichef der Region, Wolodimir Timoschko, zu Reuters. In der südlichen Region Cherson schlugen die ukrainischen Streitkräfte nach eigenen Angaben mit Artillerieangriffen zurück. (reuters)

40 Tonnen Getreide laut ukrainischen Behörden vernichtet

Bei einem Angriff im Osten der Ukraine sollen nach Behörden-Angaben große Mengen Getreide vernichtet worden sein. In dem betroffenen Lagerhaus in der Stadt Selenodolsk sei ein Feuer ausgebrochen, schrieb der Gouverneur des Gebiets Dnipropetrowsk, Walentin Resnitschenko, am Donnerstag im Nachrichtendienst Telegram. 40 Tonnen Getreide seien vernichtet worden. Der Gouverneur machte Russland dafür verantwortlich. Angaben aus dem Kriegsgebiet lassen sich nur schwer oder meist gar nicht unabhängig überprüfen.

Die Ukraine ist neben Russland für etliche arme Länder vor allem in Afrika der wichtigste Lieferant von Getreide und Düngemittel. Weil Russland die ukrainischen Häfen blockiert, kann viel Getreide aber nicht exportiert werden. In einigen Gegenden auf der Welt droht deshalb eine weitere Zuspitzung der Hungerkrise. (dpa)

Pro-russische Behörden: Schiff mit Getreide ausgelaufen

Aus dem von Russland besetzten ukrainischen Hafen von Berdjansk ist ein Schiff mit 7000 Tonnen Getreide an Bord ausgelaufen. Die von Russland ernannte Verwaltung teilte am Donnerstag mit, das Schiff werde von der russischen Marine begleitet. „Nach mehrmonatiger Unterbrechung hat ein erstes Handelsschiff den Hafen von Berdjansk verlassen, 7000 Tonnen Getreide sind auf dem Weg in befreundete Staaten“, erklärte der Chef der pro-russischen Verwaltung, Ewgeni Balitski, im Messengerdienst Telegram. Der Hafen sei zuvor von Seeminen befreit worden.

Berdjansk liegt in der Region Saporischschja im Südosten der Ukraine. Saporischschja ist ebenso wie die benachbarte Region Cherson größtenteils von Russland besetzt. Die Ukraine beschuldigt Russland seit Wochen, ihre Weizenernten aus den besetzten Gebieten im Süden der Ukraine zu stehlen.

Zugleich sind seit Beginn des russischen Militäreinsatzes die ukrainischen Getreideexporte aus den Häfen des Landes zum Erliegen gekommen. Auch Russland kann als Folge der westlichen Sanktionen seine landwirtschaftliche Produktion nicht exportieren. (afp)

Russland zieht Truppen von Schlangeninsel zurück

Russische Truppen ziehen sich nach eigener Darstellung, im Krieg gehen die Ukraine, angeblich freiwillig von der zuvor eroberten Schlangeninsel im Schwarzen Meer zurück. Damit wolle Russland zeigen, dass es den Export von Getreide und landwirtschaftlichen Produkten aus der Ukraine nicht behindere, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Donnerstag in Moskau. „Am 30. Juni haben die russischen Streitkräfte als Zeichen des guten Willens die ihnen zugewiesenen Aufgaben auf der Schlangeninsel abgeschlossen.“ Zuvor hatte die Ukraine einen Angriff auf die Insel gemeldet.

Nach dem russischen Einmarsch Ende Februar war das Eiland unweit des Donaudeltas von der russischen Marine bereits am zweiten Kriegstag erobert worden. Die ukrainischen Streitkräfte haben seitdem mehrfach Attacken mit Kampfdrohnen und Flugzeugen geflogen und den Kreuzer Moskwa (Moskau) mit Raketen versenkt. (dpa)

Großbritannien bietet weitere Militärhilfe für die Ukraine

Großbritannien will der Ukraine für ihren Abwehrkampf gegen Russland weitere Luftabwehrsysteme, Drohnen und andere Militärausrüstung liefern. „Britische Waffen, Ausrüstung und Training transformieren die ukrainische Verteidigung gegen diesen Angriff“, sagte Premierminister Boris Johnson am Mittwochabend. Man stehe weiter hinter dem ukrainischen Volk, um sicherzustellen, dass Russlands Präsident Wladimir Putin in der Ukraine scheitere. Konkret kündigte London militärische Hilfe von einer Milliarde Pfund (1,16 Mrd. Euro) an – zusätzlich zu den bisher zugesagten 1,3 Mrd. Pfund (1,51 Mrd. Euro).

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hatte die auf dem Nato-Gipfel in Madrid versammelten westlichen Regierungschefs dazu aufgefordert, seinem Land noch stärker unter die Arme zu greifen.

Zählt man die Unterstützung für die Ukraine mit, liegen die britischen Militärausgaben der Nachrichtenagentur PA zufolge aktuell bei rund 2,3 Prozent der Wirtschaftsleistung Großbritanniens. Erhöht werden soll das Verteidigungsbudget Berichten zufolge zunächst nicht. Darüber hatte es zuvor einen Streit im Kabinett gegeben, da Verteidigungsminister Ben Wallace sich angesichts der steigenden Bedrohung für eine Erhöhung eingesetzt hatte. (dpa)

Russland hat laut Bürgermeister eigene Pässe ausgeben

In der von Russlands Truppen besetzten Kleinstadt Enerhodar im Südosten der Ukraine, sollen nach Angaben des Bürgermeisters russische Pässe ausgegeben werden. Es sei eine Annahmestelle für Dokumente zur Beantragung der russischen Staatsbürgerschaft eröffnet worden, schrieb Dmitro Orlow am Donnerstag im Nachrichtendienst Telegram. Es sei eine Werbekampagne dafür gestartet worden. Orlow hat die Stadt Ende April verlassen.

Russische Besatzungstruppen hatten einen eigenen Bürgermeister eingesetzt, der am vergangenen Sonntag bei einem Sprengstoffanschlag schwer verletzt wurde. In Enerhodar liegt das leistungsstärkste Atomkraftwerk Europas. Bei den Gefechten um die Stadt war kurzzeitig ein Feuer auf dem Gelände des Atomkraftwerks ausgebrochen.

Russische Pässe werden seit Wochen in den besetzten Teilen der Gebiete Cherson und Saporischschja ausgegeben. Russische Medien zeigten teils lange Schlangen vor den Passstellen.

Orlow befürchtete, dass künftig die Kommunikation in andere Regionen der Ukraine abgeschnitten oder zumindest erschwert werden könnte. So könnte der ukrainische Mobilfunkbetreiber abgeschaltet werden. Es sei bereits angekündigt worden, dass ein Anbieter für Kabelfernsehen und Internet der von Russland 2014 einverleibten Halbinsel Krim künftig für Enerhodar zuständig sein solle. „Dies wird es den Invasoren möglich sein, ukrainische Nachrichtenquellen zu blockieren.“ (dpa)

Kriegsverlauf – Putin: „Alles läuft nach Plan“

Die US-Geheimdienste rechnen damit, dass Russland in seinem Angriffskrieg die Kontrolle über den Süden der Ukraine bis zum Herbst festigt. Das wahrscheinlichste Szenario sei, dass dies im Rahmen eines „zermürbenden Kampfes“ geschehe, sagte die Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines am Mittwoch (Ortszeit) bei einer Veranstaltung in Washington. Russland sei womöglich der Ansicht, dass ihm die Zeit angesichts der eskalierenden Kosten, die auch der Westen zu tragen hat, sowie einer Kriegsmüdigkeit in die Hände spiele, sagte sie.

Die USA hatten die russische Invasion in die Ukraine im Februar vorausgeahnt, lagen jedoch mit der Einschätzung falsch, dass das russische Militär die Hauptstadt Kiew schnell einnehmen werde. Haines sagte, der russische Präsident Wladimir Putin habe „im Grunde die gleichen politischen Ziele wie zuvor, das heißt, er will den größten Teil der Ukraine einnehmen“ und sie von der Nato fernhalten.

„Wir nehmen eine Diskrepanz zwischen Putins kurzfristigen militärischen Zielen in diesem Bereich und den Kapazitäten seines Militärs wahr, eine Art Missverhältnis zwischen seinen Ambitionen und dem, was das Militär erreichen kann“, sagte Haines.

Putin selbst sagte bei einer Pressekonferenz in Turkmenistan am Mittwoch, seine Ziele in der Ukraine hätten sich seit Beginn des Krieges nicht geändert. Dies seien „die Befreiung des Donbass, der Schutz dieser Menschen und die Schaffung von Bedingungen, die die Sicherheit Russlands garantieren würden.“ Seine ursprünglich genannten Ziele, die Ukraine zu „demilitarisieren“ und zu „entnazifizieren“, erwähnte er nicht. Die Truppen seien in Bewegung und erreichten die vorab gesteckten Ziele, sagte er. „Alles läuft nach Plan.“ (ap)

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