wir lassen lesen
: Ein bisschen rosarot

Der „SZ“-Sportredakteur Andreas Burkert hat die erste Biografie über Radsportler Jan Ullrich geschrieben

Die lieben Kollegen, so jedenfalls ist es aus dem sonnigen Mallorca überliefert, sollen ein wenig zusammengezuckt sein, als vergangenen Sonntag die Meldung aus der Heimat eintraf im Trainingslager in Palma, die Chefs nicht minder. Dabei hätten sie es sich doch wirklich denken können, es war schließlich immer so, irgendwie: Die Saison fängt an – und Jan Ullrich wird von Zipperlein abgehalten, so richtig und, vor allem rechtzeitig, in Tritt zu kommen. Diesmal soll es sich zwar nicht um die mittlerweile republikweit bekannten Ull’schen Speckröllchen handeln, sondern um einen Grippevirus, der den fünffachen Tour-de-France-Zweiten vorübergehend flach gelegt hat. „Die Krankheit ist für den Moment ein Rückschlag, aber im Hinblick auf unser großes Ziel Tour de France sind vier, fünf Tage Zwangspause kein Problem“, beeilte sich Mario Kummer, Sportlicher Leiter von Ullrichs neuem Arbeitgeber T-Mobile, zu beschwichtigen. Auch Sätze wie diesen kennt man aus Ullrichs sportlicher Vita zur Genüge. Ein bisschen muten sie an wie eine Art radsportliches Dinner for one: The same procedure as last year, Ulle? The same procedure as every year!

Vielleicht ist im kalten München auch der SZ-Sportjournalist Andreas Burkert ein wenig zusammengezuckt, als er die neuesten Meldungen übermittelt bekam. Burkert, Jahrgang 1967 und dem Radsport nach eigenen Angaben seit vielen Jahren verbunden, ist die ehrenvolle Aufgabe zugefallen, die erste Biografie des deutschen Sattel-Heroen zu verfassen, gerade als Taschenbuch im Verlag Goldmann erschienen. Burkert zeichnet darin den Weg des sommersprossigen Pedaleurs von frühester Jugend an und mit allen Hochs und Tiefs nach. Akribisch hat der Journalist recherchiert, mit zahlreichen Weggefährten Ullrichs gesprochen, tief in so manchem Archiv gewühlt, dabei auch manch Privates ausgegraben und es sorgfältig zusammengesetzt, bisweilen trägt das Züge eines Psychogramms. Aufgeschrieben wiederum hat er es mit der einem SZ-Reporter eigenen Formulierungskunst, was das Werk spannend und unterhaltsam zu lesen macht – und lesenswert sowieso.

Ein rundum gelungenes Büchlein also, wäre da nicht der allzu große Optimismus, mit dem Burkert Ullrichs weiterer Karriere entgegensieht – und der sich bereits im Titel „Wieder im Rennen“ niederschlägt. „Man wird mit Interesse verfolgen“, schreibt Burkert in einer Art Resümee, „ob Jan Ullrich in alter Umgebung wirklich seine neu gewonnene Reife bewahrt oder doch in alte Muster verfällt.“ Er, der Autor, hat sich bereits entschieden: „Das käme eher überraschend“, findet Burkert – und meint damit den Rückfall. Ganz offensichtlich hat er sich auf die Version des neuen, gereiften Ullrichs festgelegt.

Dabei liefert der SZ-Radsportexperte die Stimmen, die allzu großen Optimismus bremsen könnten, in seinem Werk durchaus mit, etwa in Form von Peter Becker, Ullrichs einstmals entscheidendem Förderer. „Er hat nicht richtig gearbeitet, ist bequem geworden, hat sich dann überlastet – und ist krank geworden“, findet der die passenden Worte zum nahezu alljährlichen Muster der Ullrich’schen Präparation, noch deutlicher gar darf Becker werden, um all die Tiefs zu erklären: „Der Ulli war faul, ganz einfach faul.“ Und: „Die Probleme hat er sich immer selbst bereitet, an der ganzen Scheiße war er immer selber schuld.“

Zu fünfmal Platz zwei bei der Tour hat es Ullrich dennoch gereicht, zum Olympiasieg und Weltmeistertitel ebenso, bisweilen nach nur wenigen Wochen seriöser Vorbereitung. Das ist verdammt viel, verdammt gut, verdammt erfolgreich. Aber ist es auch genug für einen, der mit einem geradezu unverschämten Übermaß an Radfahrtalent ausgestattet ist – oder war nicht doch noch mehr drin als fünfmal Platz zwei bei der Tour? „Seine gleichwohl bemerkenswerten Leistungen wurden ihm mehr und mehr als persönliche Niederlagen ausgelegt“, beklagt Burkert, gleichwohl kommt auch er nicht umhin, in den Jahren nach seinem Tour-Sieg 1997 Ullrich „Probleme, sich zu zügeln“ zu attestieren, „schludriges Premiumtalent“ nennt er ihn da. Warum aber glaubt der Autor nun an die große Läuterung seines Helden?

Letztendlich kämpft Burkert mit einem schier unlösbaren Problem: Das sportliche Wirken des Jan Ullrich nicht nur nacherzählen, sondern einordnen und beurteilen zu wollen, was prinzipiell löblich ist – und doch auch nahezu unmöglich, eben weil die Karriere noch andauert. Soll heißen: Sollte Ullrich die Tour tatsächlich noch einmal gewinnen, befindet sich Burkert mit seiner These vom nach schmerzhaften Lehrjahren geläuterten Helden auf der richtigen Fährte. Wenn nicht, ist ihm manches deutlich zu wohlwollend geraten.

FRANK KETTERER

Andreas Burkert: „Jan Ullrich – Wieder im Rennen“, 180 Seiten, Goldmann Verlag, 8,95 Euro