Unkonventionell

House scheint derzeit etwas in der Rückschau befangen. Die stärksten Trends sind gegenwärtig Neuformulierungen von Chicago House klassischer Bauart, soulbewusst und gerne mit analogem Gerät erzeugt. Zwischen Disco und Funk geht so ziemlich alles, was nicht zu reduziert daherkommt. Auch die amerikanische Produzentin Deniz Kurtel hat ein zupackend-offenes Verständnis davon, was House heute sein kann. Kurtel, die aus dem Umfeld des New Yorker Labels Wolf + Lamb stammt, pflegt wie ihre Kollegen ein entspanntes Verhältnis zu Tempo und stilistischen Abgrenzungen. Ihr Debütalbum hat mal die Wärme und Tiefe von frühem House, setzt mal schroffe Akzente mit trocken zischendem Electro-Funk, ohne sich dabei allzu aufdringlich zu gerieren. In seinen schönsten Momenten erinnert „Music Watching Over Me“ an die Aufbruchsstimmung der elektronischen Musik zu Beginn der Neunziger, als der Übergang von Tanzflächen- und Wohnzimmermusik sich zu verflüssigen begann. Kurtel bewegt sich ganz selbstbewusst auf dieser Trennlinie, entschieden ambivalent, doch im Zweifel immer tanzbar.

■ Deniz Kurtel: „Music Watching Over Me“ (Crosstown Rebels)

Traditionell

Die Niederländerin Steffi ist schon seit Jahren als DJ und Labelbetreiberin aktiv. Vor vier Jahren zog sie nach Berlin, wo sie im Club Berghain als Resident in der House-affinen Panorama Bar arbeitet. Eigene Musik produziert sie hingegen erst seit 2009. Jetzt liegt ihr Debütalbum vor, das sie auf dem Berghain-eigenen Label Ostgut Ton veröffentlicht hat. Im Unterschied zur Mehrheit der Platten, die sonst dort erscheinen, ist „Yours & Mine“ bemerkenswert sanft und melodisch ausgefallen. Steffi orientiert sich mit Vorliebe an House alter Schule sowie an den melodisch-warmen Synthesizerklängen des Detroit Techno. In ihren verspieltesten Momenten lassen Steffis Tracks sogar an systematisch entkernten Synthiepop ohne elektronischen Kitsch denken. Übersichtlich und aufgeräumt geht es bei ihr zu, wobei sie es schafft, trotz aller oberflächlichen Reinlichkeit stets einen unmittelbar auf den Körper zielenden Groove unter ihre schillernden Texturen zu legen. Innovationen sollte man nicht groß erwarten, dafür ausnahmslos geschmackssicheren, guten House. Und das ist schon eine ganze Menge.

■ Steffi: „Yours & Mine“ (Ostgut Ton)

Experimentell

Dass man im Berghain nicht ausschließlich auf bewegungsfixierten Party-Konsens abzielt, kann man am Albumeinstand der polnischstämmigen Multitaskerin Margaret Dygas eindrücklich nachvollziehen. Die über ein Modestudium in New York und eine Londoner Station als DJ vorübergehend in Berlin gelandete Dygas legt wie ihre Kollegin Steffi im Berghain auf, doch zeichnet sie sich im Unterschied zur Niederländerin weniger durch Konzentration auf eine Sache als durch Diversifikation aus. In ihrer Musik geht es um Sinnstiftung durch genrefremde Kombinationen. Das können field recordings mit Vogelgezwitscher, pointillistische Gitarrentöne oder atonale Klavierakkorde sein. Manchmal fällt der Beat auch vollständig weg und überlässt es dem Hörer, sich in Dygas’ wilder Architektur zurechtzufinden. Statt Transparenz strebt sie in erster Linie Suggestivität an, die wahlweise klaustrophobisch-beklemmend wirkt oder zum freien Assoziieren anregt. Überhaupt scheint es Dygas stärker auf das Unbewusste als auf den rhythmisierten Körper abgesehen zu haben – mit offenem Ergebnis.

■ Margaret Dygas: „How Do You Do“ (Powershovelaudio)