Hausbesetzungen legalisieren

LEERSTAND In Hamburg strebt eine Hausbesetzerin ein Grundsatzurteil an. Das soll Hausbesetzungen bei systematischem Leerstand entkriminalisieren, um Wohnraum zu schaffen

von KAI VON APPEN

Eigentlich könnte Miriam Scholz* zufrieden sein. Ist sie doch gerade mit dem sprichwörtlichen „blauen Auge“ davongekommen. Das Amtsgericht Hamburg-St. Georg hat sie wegen ihres Eindringens in die Villa Behnke in Hamburg-Horn im November vorigen Jahres jetzt nur verwarnt. Das heißt: Ihre eigentliche Strafe wegen Hausfriedensbruchs von 40 Tagessätzen à 15 Euro ist zur Bewährung für zwei Jahre ausgesetzt worden. Wird sie im dem Zeitraum nicht wieder „straffällig“, ist das Urteil obsolet.

Dabei muss man bedenken, dass Hunderte von Polizisten mit Wasserwerfern und Räumpanzern aufgefahren waren, um den Leerstand in der Villa Behnke wieder herzustellen und Scholz sowie ihre vier Freunde aus dem Gebäude zu holen. Die wollten dort ein Wohnprojekt installieren und einen Stadtteiltreff eröffnen.

Doch Miriam Scholz ist nicht zufrieden. Die 24-Jährige geht davon aus, dass sie nie eine Straftat begangen hat. Die Besetzung der Villa Behnke sei angesichts des Wohnungsnotstands ein „legitimes Mittel des zivilen Ungehorsam“ gewesen. Zudem sei es erklärter Wille der Bezirkspolitik – der Stadtteilbeirat hatte erst zwei Wochen zuvor erklärt, dass das seit zehn Jahren leer stehende Haus aus dem Jahr 1883 erhalten werden solle.

Daher haben ihre Anwälte Ingrid Witte-Rohde und Andreas Beuth Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Amtsgerichts eingelegt. „Wir warten das schriftliche Urteil ab“, sagt Beuth. Erst dann entschiedet das Anwaltsduo, ob sie Berufung beim Landgericht einlegen oder direkt in der sogenannten Sprungrevision den Fall vor das Hanseatische Oberlandesgericht bringen.

„Das angeklagte Verhalten unserer Mandantin ist weder tatbestandsmäßig noch rechtswidrig“, sagen Beuth und Witte-Rohde. Daher wollen sie eine „Entkriminalisierung von berechtigten Hausbesetzungen“ erreichen.

„Leer stehende Häuser stellen kein befriedetes Besitztum nach Paragraf 123 Strafgesetzbuch dar, wenn ein Rechtsschutzbedürfnis nicht oder nicht mehr erkennbar ist“, sagt Beuth. Ein befriedetes Besitztum ist, anders als der Name vermuten lässt, ein konfliktfreies, sondern eines, das gegen willkürliches Betreten durch Dritte gesichert ist. Nur an einem solch „befriedeten Besitztum“ gilt das Hausrecht oder der Hausfrieden. Das allerdings nur dann, wenn das Gebäude aktiv genutzt wird. „Eine rein negative Nutzung des Hausrechts wie bei der Villa Behnke, wo das Gebäude über Jahre hinweg von niemandem genutzt wird, kann kein eigenständiges Rechtsschutzbedürfnis begründen“, sagt Anwalt Beuth.

Gilt dabei nicht das Grundrecht auf Eigentum? „Artikel 14 Absatz 1 Grundgesetz garantiert das Eigentum, aber nicht schrankenlos“, entgegnet Beuth. „Die Schranken werden durch Gesetze bestimmt.“ Ein solches Gesetz sei zum Beispiel das Hamburgische Wohnraumschutzgesetz, „wonach das Leerstehenlassen von Wohnraum über einen Zeitraum von länger als vier Monaten als Zweckentfremdung unzulässig ist“.

Der konkrete Fall ist in Beuths Augen deshalb besonders eklatant, weil die städtische Wohnungsgesellschaft Saga von der Stadt Hamburg mit der Verwaltung beauftragt worden sei, um das intakte und bewohnbare Haus „abrissreif“ zu machen. Artikel 14 des Grundgesetzes statuiere jedoch die Sozialpflichtigkeit des Eigentums. „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen“, sagt Beuth. Daher liege eine schützenswerte Ausübung des Hausrechts bei dauerhaftem Leerstand nicht vor.

Das Anwaltsgespann Witte-Rohde und Beuth steht mit dieser Rechtsauffassung nicht alleine. Das Amtsgericht Münster begründete ein freisprechendes Urteil wie folgt: „Der Schutzzweck entfällt jedoch bei Räumlichkeiten, die vom Besitzer oder Eigentümer absichtlich leer stehen gelassen werden.“ In diesem Fall habe der Berechtigte die Voraussetzungen des schutzwürdigen Rechts beseitigt, da er bewusst verhindert habe, dass in seinen Räumlichkeiten eine bestimmte Tätigkeit oder Nutzung entfaltet würde.

In ähnlicher Weise argumentierte auch das Amtsgericht Stuttgart. „Zum Tatbestand des Hausfriedensbruchs an befriedetem Besitztum gehört, dass sich in diesem befriedeten Besitztum etwas abspielt“, so das Gericht, so „dass der innere Friede, nicht nur aus einer Grabesstille besteht, sondern dazu dient, Tätigkeiten innerhalb des befriedeten Besitztums ausführen zu können.“

Es sei an der Zeit, an dieser Rechtssprechung aus den 1980er-Jahren anzuknüpfen, befinden die Rechtsanwälte Witte-Rohde und Beuth. „Zumal sich Wohnungsnot und systematischer Leerstand seitdem erheblich verschärft haben und das Verhalten der Leerstands-Eigentümer eher salopper als gesetzestreuer geworden ist.“

*Name geändert