Angriff auf Völkerrecht

UN-CHARTA Nur in Ausnahmefällen darf ein Staat angegriffen werden. Syrien ist kein solcher Fall

In Syrien geht es nicht um einen Angriff von außen, sondern um einen internen Bürgerkrieg

FREIBURG taz | Eine militärische Strafaktion gegen Syrien verstößt gegen das Völkerrecht. Das gilt auch dann, wenn sich beweisen lässt, dass das syrische Regime Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat. Ein Angriff durch die USA oder die Nato wäre ein Verstoß gegen das Gewaltverbot der UN-Charta, da ein Mandat des UN-Sicherheitsrats fehlt.

Die UN-Charta von 1945 verbietet grundsätzlich jede militärische Gewalt gegen einen anderen Staat. Sie ist die wichtigste Rechtsquelle des Völkerrechts und bindet alle UN-Mitglieder, auch die USA.

Die UN-Charta sieht nur wenige Ausnahmen vom Gewaltverbot vor. Die wichtigsten davon sind Notwehr und Nothilfe. Ein Staat, der militärisch von einem anderen Staat angegriffen wird, darf zurückschlagen. Auch andere Staaten dürfen dem angegriffenen Staat militärisch helfen, den Angriff abzuwehren. Ein Beschluss des UN-Sicherheitsrats ist hierfür nicht erforderlich. In Syrien geht es allerdings nicht um einen Angriff von außen, sondern um einen internen Bürgerkrieg.

In den Bürgerkrieg könnte der Westen zwar mit Billigung der syrischen Regierung eingreifen (wie etwa in Afghanistan). Der Westen will aber aufseiten der Aufständischen das Regime attackieren. Hierfür genügt der Wunsch der Aufständischen nicht.

Gegen den Willen der Regierung kann der Westen in den Bürgerkrieg nur mit Billigung des UN-Sicherheitsrats eingreifen. Auch diese Ausnahme vom Gewaltverbot ist in der UN-Charta ausdrücklich vorgesehen. Entsprechende Beschlüsse hat der Sicherheitsrat erstmals 1991 zum Schutz von Kurden und Schiiten im Irak gefasst, später auch zur Situation in Somalia und Haiti, zuletzt wurde 2011 der rebellierenden Bevölkerung in Libyen Schutz gegen das Gaddafi-Regime versprochen – was vom Westen dann zum Sturz Gaddafis genutzt wurde.

In diesem Rahmen ist auch das Konzept der „Schutzverantwortung“ (responsibility to protect) zu sehen, das 2005 von der UN-Generalversammlung einstimmig beschlossen wurde. Danach ist zunächst jeder Staat selbst verpflichtet, die Achtung der Menschenrechte auf seinem Staatsgebiet sicherzustellen. Wenn der Staat dazu aber unfähig oder unwillig ist, hat die internationale Gemeinschaft eine Verpflichtung zu reagieren, notfalls durch eine Intervention mit militärischer Gewalt. Voraussetzung ist aber auch hier ein Mandat des Sicherheitsrats.

Problematisch an diesem System ist allerdings, dass der UN-Sicherheitsrat immer wieder blockiert ist. Wenn einer der fünf Veto-Staaten (USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China) einen Beschluss verhindert, dann kann die Weltgemeinschaft nicht legal in Bürgerkriege intervenieren.

Im Kosovokrieg intervenierte deshalb die Nato 1999 ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats. Man sprach damals von einer „humanitären Intervention“. Der Bruch des Völkerrechts sei gerechtfertigt, um eine humanitäre Katastrophe abzuwenden. Bis heute gilt der Kosovokrieg unter Völkerrechtlern überwiegend als zwar moralisch legitim, aber rechtlich unzulässig.

Bisher sind auch die Versuche westlicher Staaten gescheitert, das Recht zur humanitären Intervention zum Gewohnheitsrecht werden zu lassen. Denn die wohl überwiegende Zahl der Staaten, inklusive der Vetomächte Russland und China, lehnt das Konzept nach wie vor ab. Auch der 2003 ohne UN-Mandat geführte Irakkrieg der USA und anderer Staaten blieb rechtlich hoch umstritten.

Eine Intervention in Syrien ohne UN-Beschluss verstößt also gegen das Völkerrecht. Doch selbst wenn das Konzept humanitärer Interventionen anerkannt wäre, könnte es kaum eine bloße Strafaktion rechtfertigen. Ein symbolischer Beschuss beliebiger syrischer Regierungsstellungen lässt sich schlecht als Rettung der Bevölkerung interpretieren. CHRISTIAN RATH