In Erdogans Fadenkreuz

JÄHZORN Der Premier poltert gegen Stiftungen

Finanzieren deutsche Stiftungen mit deutschem Steuergeld terroristische Aktivitäten in der Türkei? Der Gedanke ist so abwegig, dass man ihn sofort ad acta legen möchte. Doch Tayyip Recep Erdogan war es offenkundig ernst, als er vor Journalisten seine Behauptung lancierte. Der Premier gilt als jähzornig. Unwahrscheinlich ist trotzdem, dass ihm nur ein sprachlicher Lapsus unterlief. Wer sich an den Ausfall auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum gegen Schimon Peres erinnert, weiß: Erdogan ist ein Meister der gezielten Invektive. Der Mann will Zeichen setzen. Es soll etwas hängen bleiben. Schimon Peres verpasste er weiland das Label „Staatsterrorist“. An den deutschen Stiftungen hängt vorerst das der „Staatsfeinde“.

Unfreiwillig hat Erdogan mit seiner Attacke freilich auch die Achillesverse seiner „Modernisierungspolitik“ bloßgelegt. Zwar belegte die Rückgabe unrechtmäßig enteigneter Grundstücke von Christen und Juden, die Erdogan vor Kurzem anordnete, einen Kurswechsel in der Minderheitenpolitik. Eine grundlegende Öffnung der türkischen Gesellschaft scheint dennoch nicht geplant.

Die von ihm selbst gestartete „Demokratische Offensive“ für die Rechte der Kurden ließ Erdogan schnell wieder im Bombenhagel der Armee gegen die Kurden im Nordirak begraben. Die dürfen zwar wieder ihre Sprache sprechen. Doch wer mit ihnen redet, ist verdächtig. Seit zwei Jahren werden massenhaft kurdische Politiker samt ihrer Sympathisanten verhaftet. Auf dem Umweg dieses Feindbilds sind die Deutschen in das Erdogan’sche Fadenkreuz geraten.

Man mag in Erdogans Empörung über die Kontakte der deutschen Stiftungen oder in der Räuberpistole der islamistischen Zeitung Yeni Akit, in der Sommerresidenz der deutschen Botschaft im Istanbuler Vorort Tarabya planten die Stiftungen den Umsturz am Bosporus, einen Reflex auf ein kulturelles Trauma sehen: die Machenschaften der europäischen Mächte am Ende des Osmanischen Reiches. Man muss darin aber auch vor allem ein ganz und gar unzeitgemäßes Misstrauen gegenüber den Akteuren der Zivilgesellschaft sehen, ohne die es eine multikulturelle Demokratie in der Türkei nicht geben wird. So unnachgiebig, wie der Premier an dem Dogma von der einen, auch kulturell unteilbaren, „türkischen“ Nation festhält, deren Feinde die Kurden sind, erweist sich der islamische Politiker als treuer Schüler des Atheisten Mustafa Kemal, der ja auch eine gnadenlose Modernisierung von oben erzwang.

INGO AREND