„Angst vor der Entblößung“

Es werden immer mehr – aber wie viele Frauen ihre Kinder auf eigenen Wunsch per Kaiserschnitt entbinden, ist unbekannt. Auch über ihre Gründe wurde bisher nur spekuliert. Die Bremer Wissenschaftlerin Barbara Baumgärtner hat Betroffene gefragt

BARBARA BAUMGÄRTNER, 43, gelernte Hebamme, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bremer Institut für Public Health und Pflegeforschung.

INTERVIEW EIKEN BRUHN

taz: Frau Baumgärtner, aus welchen Gründen wollen Frauen einen Kaiserschnitt?

Barbara Baumgärtner: Ich kann bisher nur über vorläufige Ergebnisse sprechen. Es lässt sich aber bereits erkennen, dass es in allen 18 Fällen biographische Gründe gab, die zu dem Wunsch geführt haben.

Welche genau? Eigene traumatische Geburten können es nicht sein …

Nein, ich habe nur mit Erstgebärenden gesprochen, um das ausschließen zu können. Das kann die Geburt einer Freundin gewesen sein, bei der sie dabei war, eine traumatische Abtreibung oder ein Praktikum im Kreißsaal. Erlebnisse, nach denen sie sagen: „Das kann ich mir für mich selbst überhaupt nicht vorstellen.“

Was genau schreckt so sehr an einer Geburt?

Zusammengefasst würde ich sagen, dass die Frauen Angst davor haben, ihre Integrität aufgeben zu müssen. Das heißt, dass sie Erfahrungen unter der Geburt machen könnten, die mit Kontrollverlust einhergehen, mit dem Gefühl von Hilflosigkeit. Sie befürchten, dass sie auf das Geschehen keinen Einfluss haben.

Die Sorge ist angesichts der Situation in vielen Kliniken nicht ganz unbegründet.

Ja, das sehe ich auch so.

Beim Kaiserschnitt können die Frauen aber noch weniger selbst tun.

Es bleibt eine Art Kontrollverlust. Aber eine Frau hat es so ausgedrückt: „Sonst würde ich die Kontrolle an die Schmerzen abgeben, so an die Ärzte.“ In der Vorstellung der Frauen ist der Kaiserschnitt ein vorhersehbares, planbares Ereignis. Sie haben sehr großes Vertrauen in die Kompetenz der Ärzte und Ärztinnen, eine Geburt technisch zu begleiten. Was ihnen fehlt, ist das Vertrauen in die Fähigkeit von Ärzten und Hebammen, eine vaginale Geburt zu begleiten.

Wie genau wissen die Frauen Bescheid über die Risiken und Folgen des Eingriffs?

Sie sind erstaunlich gut informiert. Aber die Wahrnehmung der Risiken ist eine selektive, bestimmt dadurch, dass sie den Kaiserschnitt wollen. Sie nehmen nur das auf, was die eigene Entscheidung unterstützt. Nur wenigen war bewusst, dass ein Kaiserschnitt auch Auswirkungen haben kann auf die Fruchtbarkeit.

Das heißt, sie wissen um die Schmerzen nach der Operation?

Ja. In der Literatur zu dem Thema wird immer wieder erwähnt, dass die Frauen den Kaiserschnitt vorziehen, um Schmerzen zu vermeiden. Das haben meine Interviews nicht bestätigt. Die Frauen wussten, dass die Schmerzen hinterher stärker sind im Vergleich zur vaginalen Geburt. Und ihnen ist auch bewusst, dass man die Schmerzen unter der Geburt sehr gut behandeln kann.

Aber wovor haben sie dann Angst?

Es ist eine Idee von Entblößung und Beschämung, die die Frauen haben. Das wird aus allen Interviews deutlich. Sie haben Angst davor, sich im Beisein fremder Personen, aber auch des Partners, in einer Situation zu zeigen, die sie als entwürdigend erleben. Und es geht um den Umgang, den andere Personen mit ihnen haben. Eine drückte es so aus: „Ich möchte nicht, dass mir da jeder zwischen den Beinen herumwurschtelt.“

Welche Rolle spielt die Angst, das Kind könnte bei der vaginalen Geburt verletzt werden?

Es gibt Studien, die das als Grund annehmen. Das deckt sich aber nicht mit dem, was die Frauen mir erzählt haben. Vorrangig ist die Sorge um das eigene Wohlergehen. Die Annahme, dass es für das Kind besser sein könnte – die wissenschaftlich übrigens nicht bestätigt ist – nehmen sie als positiven Nebeneffekt.

Sie haben danach gefragt, ob Prominente Vorbilder sind.

Ja. Die Frauen sind teilweise sehr gut darüber informiert, welche Prominente mit Kaiserschnitt entbunden hat. Aber es wurde mir immer wieder erzählt, dass das die eigene Entscheidung nicht beeinflusst hat. Dennoch denke ich, dass durch die Prominenten-Kaiserschnitte ein Klima erzeugt wurde, in dem der Kaiserschnitt als wählbare Option wahrgenommen wird.

Haben sie Angst, nach der Geburt nicht mehr sexy zu sein?

Es gibt die eine oder andere Frau, die gesagt hat, sie nehme an, nach dem Kaiserschnitt weniger an sexueller Attraktivität zu verlieren als nach einer vaginalen Geburt. Ich vermute aber, dass vorrangig die Idee eine Rolle spielt, „wenn mein Mann mich in so einer Situation erlebt, ändert sich etwas an unserer Sexualität“.

Was sagen die Männer dazu?

Ich habe danach gefragt, welche Rolle die Einstellung des Partners bei der Entscheidung gespielt hat. Es ist offenbar so, dass sich die Männer nach den Wünschen der Frauen richten.

Alle?

Eine Frau hat mir berichtet, dass ihr Partner dagegen war, aber letztendlich auch gesagt hat: „wenn das für dich der richtige Weg ist, halte ich zu dir“.

Ein Ergebnis der Studie von Baumgärtner ist, dass Frauen die Entscheidung für einen Kaiserschnitt treffen, ohne sich mit ihrer Gynäkologin zu beraten. Das deckt sich mit einer Untersuchung ihrer Kollegin Corinna Schach, die Bremer FrauenärztInnen zu ihrem Einfluss auf Schwangere befragt hat, wenn diese einen „Wunschkaiserschnitt“ anstreben. In ihren Interviews wurde deutlich, dass die MedizinerInnen nicht wissen, wie sie über die Operations-Risiken mit den Patientinnen reden können, ohne dass diese sich bevormundet fühlen und den ärztlichen Rat ablehnen. In ihrer Verunsicherung geben die FrauenärztInnen Schach zufolge die Verantwortung an die Kliniken ab. eib

Sie haben auch mit Frauen gesprochen, die einen Kaiserschnitt hinter sich hatten. Haben die sich dazu geäußert, ob sie ihre Entscheidung bereuen?

Meine Fragestellung war nicht, das Erlebnis des Kaiserschnittes auszuwerten. Aber die Frauen haben – ohne dass ich danach gefragt hätte – gesagt, dass es für sie die richtige Entscheidung war. Auch die eine oder andere, die ich während der Schwangerschaft interviewt habe, hat mir hinterher unaufgefordert geschrieben, „das war gut so“. Allerdings ist das nicht verwunderlich, da sie keine Vergleichsmöglichkeit haben.

Keine hat etwas über ein schlechtes Gewissen gesagt?

Auffällig ist eine gewisse Ambivalenz. Es war zu merken, dass die Frauen mit ihrer Entscheidung gehadert haben. Ich vermute, dass der angestrebte Kaiserschnitt nicht dem vorherrschenden Geburtsideal entspricht: Spontan, möglichst ohne Schmerzmittel und in der Badewanne. Die Frauen, die sich bewusst für einen Kaiserschnitt entscheiden, haben wahrscheinlich das Gefühl, sich verstecken zu müssen. Vermutlich haben sich auch deshalb nur sehr wenige bereit erklärt, mit mir zu sprechen.

Auch Sie stehen dem Kaiserschnitt eher kritisch gegenüber. Wenn es für einige aber die beste Geburtsform ist, warum sollte man sich so bemühen, die Raten zu senken?

Moment, ich bin nicht generell kritisch. In manchen Fällen ist der Kaiserschnitt sinnvoll. Was ich problematisch finde, ist die leichtfertige Anwendung. Frauen mit Kaiserschnittwunsch sollte unbedingt ein Gesprächs- und Beratungsangebot gemacht werden. Und sie sollten umfassend über die kurz- und langfristigen Folgen der Operation informiert sein. Es geht darum, ihnen die bestmögliche Betreuung zu gewähren. Bisher sind sie nicht optimal versorgt.

Müsste sich nicht viel mehr an der Praxis in den Kliniken ändern, wo eben der „zwischen den Beinen wurschtelt“, der gerade Dienst hat?

Ja, sicher sollte man an den strukturellen Bedingungen etwas ändern. Auch die Vorsorge ist in Deutschland sehr arztorientiert und zielt darauf ab, nach krankhaften Veränderungen zu suchen. Der Fokus sollte viel mehr auf den Stärken der Frau liegen, also darauf, wie ich sie mit ihren Ressourcen auf die Geburt vorbereiten kann. Diese Aspekte sind meiner Meinung nach völlig unterrepräsentiert.

Und im Kreißsaal?

Sollte man viel stärker darauf hinwirken, dass die Hebamme, die einen schon während der Schwangerschaft betreut, auch bei der Geburt dabei sein kann. Ich selbst habe in Köln in so einem Modell gearbeitet, wo ich als freiberufliche Hebamme mit Krankenhäusern kooperiert habe. Da war es sogar so, dass das eine oder andere Krankenhaus gefragt hat, ob wir nicht auch bei ihnen mitarbeiten könnten.