Diese Band braucht Kritik

LEGENDE The Fall hatten im Berliner Club Maria ihren einzigen Auftritt in Deutschland im Jahr 2010. Frontman Mark E. Smith ist ihr Gott und ihr Problem

The Fall sind eine Rockband und legendär. Gegründet vom Sänger Mark E. Smith im Jahre 1976, wurde nach Belieben des Frontmanns jede Position in der Band, die noch immer aus Bass, Gitarre, Schlagzeug und Keyboard besteht, mehrfach neu besetzt. Mit manchen Bandmitgliedern war oder ist er verheiratet, anderen widmet er, sobald sie ausgeschieden sind, böse Songs, manche durften zurückkehren, wurden dann aber wieder gefeuert. Dennoch gilt für die Band weiterhin das Diktum „always different, always the same“, mit dem der legendäre Radiomoderator John Peel seine Lieblingsband beschrieb. Dies muss an „MES“ liegen, wie Fans den Sänger der „Mighty Fall“ – ebenfalls ein Fanausdruck – nennen. Entsprechend wurde er bejubelt, als er in der Freitagnacht zum Ende eines großartigen Instrumentalstücks erstmals die Bühne betrat. The Fall spielten im Berliner Club Maria ihren einzigen Auftritt in Deutschland im Jahr 2010. Ben Biel, einer der Macher des Clubs, darf sich glücklich schätzen, mit der Band befreundet zu sein.

Während sich im Gesicht des zweiundfünfzigjährigen Smith das enge Zusammenleben mit Drogen und Alkohol deutlich abzeichnet, sind die anderen Bandmitglieder deutlich jünger und ungemein gut. Sie müssen dies auch sein, denn die Performance von Smith braucht eine verlässliche Ordnung. Zwar verpasst Smith, der seine Songs wie eh und je verlallte, verzischte, verbellte und verschrie, zwar nie seinen Einsatz, doch ist es ihm seit Jahren darum zu tun, jedes Mikrofon auf der Bühne zum Gesangsmikro zu erklären. Auch das seiner Ehefrau Eleni Poulou, die neben ihrem Keyboardspiel auch für den Backgroundgesang zuständig ist, eignete er sich zuletzt an.

Mark E. Smith ist weniger Musiker als vielmehr Komponist und Arrangeur, auf der Bühne agiert er als charismatisch vortragender Dichter. Dies funktioniert nur, da die Band seit ungefähr drei Jahren bestens aufeinander eingespielt ist. Schlagzeug (Keiron Melling) und Bass (Dave Spurr) schufen stampfende Rhythmen, die sehr frisch klangen und doch gewohnt, irritierend war dagegen, wie viel Raum der Gitarre gegeben wurde – und wie gut Pete Greenway spielt.

Die vor allem neuen Songs klangen überzeugend, konnten aber das Instrumental-Intro nicht übertreffen. Erst in der Zugabe, die fast so lang war wie der eigentliche Auftritt, fand alles zueinander. Die Songs „Mexiko“ – bei dem überraschenderweise Smith’ Kollege Ed Blaney sang – und „Reformation“ waren ergreifend, als dann der Klassiker „Mr. Pharmacist“ gegeben wurde, durften sich auch die älteren Fans freuen.

The Fall sind eine Rock-Band, die zwischen Art- und Postrock, zwischen Punk und Rockabilly hin und her pendelt, schwerfällig und dennoch treibend. Smith ist der Gott und ihr Problem, er wird von den Fans gefeiert für seine Abgewracktheit, doch die stört oft. Er hinkte bei diesem Konzert anfangs dem musikalischen Niveau der Band allzu spürbar hinterher. Erst bei den penetranten Stampfern hatte er sie eingeholt.

Das aber fällt vielen Fans leider nicht mehr auf, Legenden hält man für unantastbar. Man nimmt man alles gleich liebevoll auf und hin. Doch diese Band braucht Kritik. Denn sie hat sie verdient. JÖRG SUNDERMEIER