„Hochschulen fahren Überlast“

BILDUNG Das Grundgesetz muss geändert werden, damit Bund und Länder gemeinsam die Unis finanzieren können, fordert der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz Hippler

■ Der 67-jährige Physikochemiker ist seit Mai 2012 der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz.

INTERVIEW ANNA LEHMANN

taz: Herr Hippler, aus den Koalitionsverhandlungen hört man gar nichts mehr zum Thema Bildung. Beunruhigt Sie das?

Horst Hippler: Ja. Doch.

SPD und Union können sich nicht einigen, ob sie das Grundgesetz ändern wollen, dass der Bund Schul- und Hochschulpolitik machen kann. Ist diese Frage für die Hochschulen zentral?

Die Verantwortung, die man übernommen hat, als man die Hälfte eines Jahrgangs an die Hochschulen schickte – die können die Länder allein nicht mehr tragen. Der Bund muss sich in Zukunft beteiligen, und zwar in der Breite. Die Hochschulen fahren zurzeit alle eine Überlast.

Aber es gibt doch die Hochschulpakte – der Bund finanziert 625.000 zusätzliche Plätze für Studienanfänger.

Die Pakte laufen aber in zwei Jahren aus.

Man könnte sie verlängern.

Das Problem ist, dass die Pakte endlich sind. Das Personal wird immer nur befristet für maximal drei Jahre eingestellt. Für eine anständige Lehre und eine gute Betreuung der Studierenden brauchen wir aber Dauerstellen. Ich glaube auch nicht, dass wir in Zukunft weniger Studienanfänger haben werden, denn wir brauchen die Absolventen.

Ist also eine Änderung des Grundgesetzes unumgänglich?

Ja, ich denke schon. Überall gibt es nur Projekte, weil sich der Bund nicht dauerhaft an der Finanzierung beteiligen darf. Diese Projekte helfen zwar – aber die Verantwortung, wenn das Geld nicht mehr da ist, hat dann die Hochschule. Sie kann die Leute nicht mehr bezahlen und wird noch dafür gescholten, weil sie nur noch Fristverträge abschließt.

Wie viel Geld fehlt den Hochschulen aktuell?

Ich würde mich schon freuen, wenn wir für die 2,5 Millionen Studierenden 2,5 Milliarden Euro mehr bekämen.

Was passiert, wenn nichts daraus wird?

Wenn nichts passiert, werden die Hochschulen die Überlast nicht weiter tragen. Sie sehen sich jetzt in der Verantwortung – aber nur für eine gewisse Zeit.

Hängen dann Schilder an den Hochschulpforten – wegen Überfüllung geschlossen?

So ist es. Die Hochschulen werden dann strikt nach der Kapazität vorgehen und nicht mehr so viele Anfänger immatrikulieren. Es wird flächendeckende und heftige NCs geben.

Für eine gute Betreuung braucht es unbefristete Stellen

Die Union hat vorgeschlagen, das Grundgesetz so zu erweitern, dass der Bund sich in Fällen überregionaler Bedeutung monetär einmischen darf.

Davon halte ich überhaupt nichts. Das ist Rosinenpickerei. Bund und Länder haben die Verantwortung, unser exzellentes System exzellent zu lassen. Das deutsche Hochschulsystem zeichnet sich dadurch aus, dass wir übers ganze Land verteilt Qualität haben. Wir schielen immer in die USA, weil es dort so tolle Spitzenuniversitäten gibt. Aber wenn man genauer hinschaut, dann sind die Spitzenunis meist privat, und der Rest ist Schrott. Wir würden solche Schulen in Deutschland noch nicht mal Hochschule nennen.

Sollten sich die Hochschulen also nicht so sehr um internationale Rankings scheren?

Überhaupt nicht. Vor allem die Politik sollte nicht darauf schauen. Ob man es schafft, dass einzelne Universitäten sich in Rankings weiter oben positionieren, ist nicht so wichtig. Viel wichtiger ist, dass die Wirtschaft brummt und wir Leute haben, die die Zukunft gestalten. Die kommen von den Hochschulen.

Die SPD will eine Grundgesetzänderung, die Schulen und Hochschulen einschließt. Müssten Sie nicht egoistisch sagen: einigt euch wenigstens für den Hochschulbereich?

Klar, der Spatz in der Hand ist angenehmer als die Taube auf dem Dach. Aber wir müssen das gesamte System in den Blick nehmen. Ich bin für eine grundsätzliche Öffnung des Grundgesetzes auch für die Schulen. Für Bildung sind alle verantwortlich.