Alles, was Recht ist

PARAGRAFENRITT Claudia Pechstein wettert gegen das Sportrecht – und mit ihr 55 andere Athleten

Das Sportrecht ist nichts anderes als ein Instrument des Sportlerschutzes

VON MARKUS VÖLKER

Claudia Pechstein ist derzeit mal wieder in den Schlagzeilen. Sie möchte nicht weniger als den deutschen Sport revolutionieren. Der Sportler, macht sie glauben, sei ein Opfer. Ein Opfer der Sportverbände und ein Opfer des Sportrechts. Sie behauptet, dass die Verbände im Ernstfall nicht zu ihren Sportlern halten und dass der Athlet im Fall eines positiven Dopingbefundes im rechtsfreien Raum steht. Eine entsprechende Pechstein-Petition haben nun über 50 Sportler unterschrieben, Skilangläufer Axel Teichmann zum Beispiel oder Exschwimmer Mark Warnecke und Speerwerferin Christina Obergföll.

Man fragt sich, warum sie sich vor den Karren von Pechsteins Interessen spannen lassen, wo doch offensichtlich ist, dass Pechstein vor allem ihre ureigene Agenda der Exkulpation vom Dopingvergehen vorantreibt. Ihr Fall stehe pars pro toto für die Missstände im deutschen Sport, an ihr und mit ihr könne das marode System genesen, so die Intention ihrer Initiative. Viele Sportler sagen sich jetzt: Wenn sie nicht wäre, würde doch niemand dieses heiße Eisen anpacken. Und geschmiedet könne es nur jetzt werden, wo die Öffentlichkeit nach einem Antidopinggesetz verlangt, mit dem Dopingbetrüger hinter Schloss und Riegel gebracht werden.

Das Sportrecht, das den Athleten im Gegensatz zum Strafrecht dazu zwingt, seine Unschuld zu beweisen, kneble den Sportler, meint Pechstein. Der Athlet sei ein Gefangener im Rechtssystem des Sports. Dass sie sich im Kampf gegen ihre Dopingsperre bisweilen als Kämpferin gegen Windmühlen fühlte, mag sein, aber ihr Fall ist zu komplex und singulär, als dass der Deutsche Olympische Sportbund, die Weltantidopingagentur Wada und das IOC nun alles umkrempeln müssten. Bei Pechstein wurde sportgerichtsfest nachgewiesen, dass sie Blutdoping betrieben hat. Es ging um Anomalien, Retikulozyten, Messmethoden und den Kampf um mediale Deutungshoheit. Den führt Pechstein noch immer laut scheppernd. Nie geht es bei ihr um den Fall, nein, immer ist gleich das große Ganze im Spiel. Doch so böse wie behauptet sind die Sportverbände nicht. Sie erwiesen sich stets als treue Gehilfen und Bündnispartner, wenn es darum ging, Dopingkontrollen zu sabotieren, Sportler zu warnen oder gar Positivtests zu vertuschen. Verbände und Sportler leben in einer Symbiose, also in einer für beide Seiten vorteilhaften Partnerschaft. Selbst der von Pechstein verklagte Verband DESG ist alles andere als der wütende Gegenspieler von Pechstein. Nur pro forma und fast schon entschuldigend agierte er gegen die Läuferin aus Berlin. Die DESG-Funktionäre dulden so ziemlich jede Unverschämtheit der 41-Jährigen, was Pechstein und ihr Lager zu immer neuen Volten ermuntert.

Auch das Sportrecht mitsamt der Dopingkontrollpraxis war bislang ein Instrument des Sportlerschutzes. Die Aufklärungsquote bei Dopingkontrollen liegt bei unter 0,5 Prozent. Doper werden so gut wie nie gefunden. Nicht selten wurde in Kungelrunden zugunsten des positiv getesteten Sportlers darüber befunden, dessen Vergehen sei gar nicht so schlimm und müsse nur mit ein paar Wochen Sperre verfolgt werden. Das Sportrecht hat Sportler bis dato nicht entrechtet, es hat Rechtsfälle verhindert. Man kann sich sicher darüber streiten, warum ein Positivbefund sofort zur Sperre führt, aber dieser Automatismus hat dazu geführt, dass im Sport nach internationalen Standards geurteilt wird. Es ist eine Errungenschaft, wenn ein dopender Sprinter aus Jamaika schnell aus dem Verkehr gezogen werden kann und das IOC nicht erst abwarten muss, was Jamaikas Oberster Gerichtshof zur Urinprobe des Sprinters XY sagt. Die im Laubsägenschnitt gefertigten Paragrafen des Sportrechts mögen Sportler benachteiligt haben. Ein Opfer haben sie aus Claudia Pechstein sicherlich nicht gemacht.