KOMMENTAR VON INGO ARZT
: Der erfolgreiche Stuttgarter Protest

Es geht bei Stuttgart um mehr als einen Bahnhof – es geht um Machtfragen

Momentan werden im Herzen einer deutschen Großstadt Bäume gefällt, die ein Wahrzeichen, fast schon eine Legende sind. Gerodet wegen eines Bahnprojekts. Die Rede ist von Berlin-Mitte. Am berühmten Boulevard Unter den Linden fallen 54 Bäume wegen des Weiterbaus der U-Bahn. Wo bleibt eigentlich Robin Wood?

Sprung nach Stuttgart, auch dort wird wegen eines Bahnprojekts gefällt, im Schlosspark, ältere und mächtigere Bäume als in Berlin. In Stuttgart demonstrierten Tausende dagegen, ketteten sich an, blockierten, trugen die Pflanzen fast zu Grabe. Von außen betrachtet, könnte man fragen: Wozu das Bohei? Es geht weder um den Erhalt des Regenwalds noch darum, die Stationierung von Pershing-II-Raketen zu verhindern. Es geht nur um einen Bahnhof.

Das ist die polemische Außensicht der Dinge: unbelehrbare Wutbürger, die selbst nach einer verlorenen Volksabstimmung um das Milliardenprojekt Stuttgart 21, genau genommen einen Komplettumbau des Bahnverkehrs rund um die Stadt, nicht aufhören, auf die Straße zu gehen. Warum sollten sie auch?

Protest endet nicht, wenn die Mehrheit eine andere Meinung vertritt. Nur warum sprechen die sogenannten Parkschützer von einer „Kriegserklärung“, wenn Bäume gefällt werden sollen? Gangolf Stocker, einer der Väter des Widerstands, hat wohl recht: weil sie ihre Niederlage nicht verarbeiten können.

Dabei ist der Bau von Stuttgart 21 für viele „Bahnhofsgegner“ keine Niederlage. Zehntausende gingen gegen das Projekt auf die Straße, weil sie sich von der damaligen schwarz-gelben Landesregierung und der Bahn auf gut Schwäbisch verseggelt gefühlt haben: wie scheibchenweise Mehrkosten ans Licht kamen, wie Demonstranten mit Wasserwerfern traktiert wurden, weil ihnen nie eine Alternative zu dem Milliardenprojekt präsentiert wurde. Es ging um mehr als um einen Bahnhof – es ging um gesellschaftliche Machtfragen. Darum, wie politische Entscheidungsträger einen Apparat von Experten instrumentalisieren können, um ihre eigenen Prestigeprojekte durchzudrücken. Am Ende flog nach 53 Jahren die CDU aus der Landesregierung.

Die Bundesrepublik lernte den Wutschwaben kennen, diskutierte über Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie. Insofern haben viele, die auf die Straße gingen, gewonnen. Nur eben den Bau von Stuttgart 21 nicht verhindert – weil nach allen Schlichtungen und öffentlichen Debatten eine Mehrheit doch dafür war.

Übrigens: Vorbei ist die Sache noch lange nicht. Stuttgart 21 wird wesentlich mehr kosten als die anvisierten maximal 4,5 Milliarden Euro. Dass sich Landesregierung und Bahn irgendwann vor Gericht sehen, um darüber zu streiten, wer die Mehrkosten trägt – eine Frage der Zeit. Ein Zurück wird es dann nicht mehr geben.