KOMMENTAR VON BERT SCHULZ ZUR WAHL DES NACHFOLGERS VON KLAUS WOWEREIT
: Langweilig, und das ist gut so

In Deutschland hatten sich viele Menschen an eine Type wie Wowereit gewöhnt

Der neue Regierende Bürgermeister von Berlin heißt Michael Müller, und er trägt eine randlose Brille. Das ist zu guten Teilen sein Programm. Und zu nicht geringen Teilen sein Problem.

Müller wurde laut dem am Samstag verkündeten Ergebnis von den Berliner SPD-Mitgliedern zum Nachfolger von Klaus Wowereit gewählt. Er ist so ziemlich genau dessen Gegenteil: Wowereit stand für Glamour, für Weltstadt und für Großkotzigkeit, sprich für jene Sozialdemokraten, die es zu etwas gebracht und die abgehoben haben. Müller ist einer der SPDler, die es zu etwas brachten, aber auf dem Boden blieben, zumindest bisher. Arbeit, von der man leben kann, eine bezahlbare Wohnung, einen Kiez, in dem man sich zu Hause fühlt – das verkörpert Müller in fast allen Facetten.

Als dröge beschrieben ihn deswegen die einen, als langweilig viele andere. Für Müller war der Nachfolgewahlkampf vor der Parteibasis auch ein Kampf gegen sein Image. Die Genossen konnte er überzeugen; leidenschaftlich und teils selbstironisch hat er für sich geworben. Nun bleiben ihm knapp zwei Jahre, um auch die Berliner von sich zu überzeugen; im Herbst 2016 sind Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Das wird schwieriger.

Die Wahlen sind der Grund, warum man sich Müllers Namen bundesweit merken sollte: Auch wenn der 49-Jährige von der Art her ein Bürokrat und darin vielen anderen Ministerpräsidenten ähnlich ist – er leitet künftig nicht irgendein Bundesland, sondern die Hauptstadt. Nicht nur deren Bewohner, sondern viele Bundesbürger hatten sich an eine Type wie Wowereit gewöhnt. Berlin und Wowereit, das war eins in den vergangenen 13 Jahren. Allerdings hat der „Und das ist auch gut so“-Mann zuletzt ein Erbe angehäuft, das Müller wohl am liebsten ausschlagen würde: den Pannenflughafen BER; eine dramatische Lage auf dem Wohnungsmarkt, die eigentlich eine Schande ist für überzeugte Sozialdemokraten; Schulden in weiterhin astronomischer Höhe; eine Koalition mit der CDU, die bei vielen SPDlern Juckreiz erzeugt, weil die Konservativen wenig tun und dennoch in Umfragen führen.

Nach der Ära Wowereit muss etwas Neues kommen. Müller steht da vor einem Spagat: Er soll Kontinuität wahren – dafür wurde er von der Basis gewählt – und gleichzeitig Aufbruch verkörpern. Einen Aufbruch, der tatsächlich eher ein Schritt zurück ist zu den Berlinerinnen und Berlinern, zu ihren Sorgen in einer rapide wachsenden Stadt. Als Symbol taugt Müller auf jeden Fall dazu. Es wird sich zeigen, ob seine Politik dem auch entspricht.