Ein Mann kauft eine Stadt

VORTEIL Am Freitag entscheidet die Stadt Marburg, ob sie eine Spende des Milliardärs Reinfried Pohl annimmt

■ Der Termin: Am 24. Februar entscheiden die Stadtverordneten von Marburg in öffentlicher Sitzung über die Annahme einer 4-Millionen-Euro-Spende des Milliardärs Reinfried Pohl.

■ Der Streit: Umstritten ist, ob Pohl mit seinem Geld zu sehr in demokratische Entscheidungsprozesse eingreift und die Stadtpolitiker ihm dabei zu Diensten sind.

AUS MARBURG TIMO REUTER

Ein gutes Viertel der EinwohnerInnen Marburgs studiert an der traditionsreichen Universität. Schon der Bahnhof, eher heruntergekommen, wirkt wie deren Campus. Dazu thront über der von Wäldern umringten Stadt das ehrwürdige Schloss.

Kaum aber ist die Lahn überquert, ist alles anders: ein futuristisches Gebäude mit Glasfassade, vor dem weiße Flaggen der Deutschen Vermögensberatung DVAG wehen, schiebt sich ins Bild. Statt StudentInnen tummeln sich hier Vermögensberater. Einer von ihnen: Reinfried Pohl. Der mischt die Stadt gerade wieder auf – mit vier Millionen Euro, die er ihr schenkt. Am Freitag muss die Stadtversammlung entscheiden, ob es tatsächlich nur ein Geschenk ist oder doch eher was mit Gegenleistung.

Pohl, der 83-jährige Gründer der DVAG, gehört zu den reichsten Unternehmern Deutschlands – und zu den meist kritisierten. „Die DVAG betreibt einen sehr aggressiven Strukturvertrieb. Der Verkauf steht im Mittelpunkt, nicht das Bedürfnis der Kunden“, sagt Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten.

Doch der „Doktor“, wie Pohl in seiner Firma genannt wird, zieht sein Ding durch. Das ist in Marburg, mit dem er sich „sehr verbunden fühlt“, schon lange spürbar. Seit Jahren tritt Pohl dort als Investor und Gönner in Erscheinung.

In der Marburger Nordstadt gehört ihm inzwischen fast ein ganzes Viertel: neben den Gebäuden der DVAG auch ein Fünf-Sterne-Hotel, ein Delikatessengeschäft, ein Café. „Pohlhausen“ heißt der Stadtteil im Volksmund. Und Reinfried Pohl heißt: „Gott der Stadt“.

Durch die DVAG ist Pohl einer der größten Gewerbesteuerzahler. Und zwar ein besonders generöser – so sieht er sich zumindest selbst: einen Rettungswagen für das Rote Kreuz hier, 100.000 Euro für die Wiederbelebung des Fährbetriebs auf der Lahn dort. Auch die Universität und die Parteien wurden bedacht. 2009 erhielten die Grünen 10.000 Euro. Die SPD wollte sich auf Anfrage dazu nicht äußern. Etliche Marburger profitieren also von Reinfried Pohl – und sympathisieren.

Pohls Kritiker sehen das anders: Henning Köster-Sollwedel von der Linkspartei kritisiert vor allem, „dass jemand im Hintergrund massiv beeinflusst, aber nicht greifbar ist“. Pohl verhandele nur direkt mit dem Magistrat oder dem Oberbürgermeister. Und der Landessprecher der Humanistischen Union, Franz-Josef Hanke, sieht in Pohls Machtstellung in Marburg „ein lokales Beispiel für das gefährliche Primat der Finanzwirtschaft über die Politik“. Er spricht vom „Marburg-Monopoly“. Pohls neuester Spielzug eben: die 4-Millionen-Gabe.

Diese Gabe heizt die Diskussion um den Einfluss des Milliardärs richtig an, zumal er damit einen Schrägaufzug zum Marburger Schloss finanzieren wollte, wo er ein Restaurant besitzt. Diese Pläne scheinen zwar derzeit vom Tisch, trotzdem hat der Streit in den letzten Wochen die rot-grüne Koalition der Kommune erreicht.

Weil Oberbürgermeister Egon Vaupel, SPD, die CDU vor den Grünen informierte, fühlen die sich übergangen. Vaupel begründet die Verzögerung mit dem Wunsch des Spenders. Dietmar Göttling von den Marburger Grünen bezeichnet Vaupels Verhalten deshalb als „Katastrophe“.

Mittlerweile indes ist die rot-grüne Koalition um Schadensbegrenzung bemüht. Am kommenden Freitag entscheiden die Stadtverordneten über die Annahme der Spende. Erwartet wird, dass eine Mehrheit aus SPD, Grünen und CDU dafür ist. Eine Stadt, die mit 70 Millionen Euro verschuldet ist, könnte das Geld gut gebrauchen. Die Vorlage des rot-grünen Magistrats, die zur Abstimmung steht, sieht neben Dankesworten jedoch auch die Berücksichtigung des Spenderwillens vor. Zwar sprechen Grüne und SPD von Unabhängigkeit, doch beide betonen, wie wichtig es sei, die Verwendung des Geldes mit dem Spenderwillen in Einklang zu bringen. „Wenn der Wille des Parlaments mit dem Spenderwillen kollidiert, zieht er das Geld zurück“, meint eine grüne Stadtverordnete.

„Pohlhausen“ heißt ein Marburger Stadtteil im Volksmund. Und Reinfried Pohl heißt „Gott der Stadt“

Also Erpressung? Oder zumindest so was Ähnliches? Egal was es ist, „Pohl kann die Spende absetzen, so leitet er seine Steuern dahin, wo er sie haben will“, sagt Hanke von der Humanistischen Union. „Er steckt damit die ganze Stadt in die Tasche.“ Und Köster-Sollwedel von der Linkspartei stellt die Frage, was es mit der kommunalen Demokratie macht, wenn ein Mäzen mit offensichtlichem Interesse viel Geld spendet. Er sehe die Gefahr, „dass Volksvertreter zu bloßen Marionetten werden, die den Spenderwillen umsetzen“.

Keiner der Kritiker spricht direkt von Vorteilsnahme, doch sie finden die Verstrickungen höchst bedenklich. „In Marburg wurde so viel zugunsten von Pohl entschieden, nun bedankt er sich durch die Spende“, sagt Claus Schreiner von der Bürgerinitiative Marburger Stadtentwicklung. 2003 verlieh die Universität Marburg Pohl die Ehrendoktorwürde und seit 2006 ist er Ehrenbürger der Stadt. 2011 wurde sogar eine Straße nach Pohls verstorbener Frau benannt. Auch um die Baugenehmigung für das DVAG-Gebäude gab es Streit. Schreiner bemängelt die fehlende Bürgerbeteiligung.

Der Oberbürgermeister versteht die Vorwürfe nicht: „Herr Pohl hat aus Liebe zu Marburg gespendet.“

Und was sagt der Spender? „Kein Kommentar“, meint eine Sprecherin der DVAG. Sie vertritt den Leiter der Unternehmenskommunikation, Udo Corts. Der war einmal hessischer Wissenschaftsminister und hat Pohl 2007 auch den Ehrentitel des Professors verliehen.