Der Nazimörder von Sobibór

1943 verrichtete er mehr als sechs Monate lang für die SS die Drecksarbeit

Halb liegend in einem Rollstuhl, das Gesicht verzerrt: So kannte man John Demjanjuk. Der gebürtige Ukrainer, vor dem Landgericht München angeklagt wegen Beihilfe zum Mord an über 26.000 Menschen, spielte seine Rolle vor Gericht höchst überzeugend. Dabei wussten Eingeweihte, dass der über 90-Jährige wieder gehen konnte, sobald sich die Tore hinter dem Gefängnis Stadelheim geschlossen hatten, wo er in Untersuchungshaft einsaß. Die ärztlichen Gutachten kamen denn auch zu dem Schluss, das der Mann trotz diverser Gebrechen eingeschränkt verhandlungsfähig war. Angeklagt war Demjanjuk wegen seiner Tätigkeit als „Hilfswilliger“ in Nazi-Diensten im Vernichtungslager Sobibór. Dort, so ging es aus seinem Dienstausweis hervor, hatte er 1943 mehr als sechs Monate lang für die SS die Drecksarbeit verrichtet, und das hieß: die Juden aus den Zügen holen und sie in die Gaskammern treiben.

Nach dem Krieg verschwand Demjanjuk unerkannt. 1952 emigrierte er in die USA, wurde Automechaniker, gründete eine Familie. In Israel fanden sich in den 1980er Jahren Überlebende, die bezeugten, Demjanjuk sei „Iwan der Schreckliche“ aus dem Vernichtungslager Treblinka gewesen. Eine Verwechselung, wie sich später herausstellte. Demjanjuks Todesurteil wurde aufgehoben, er verließ das Land als freier Mann in die USA.

Doch da war noch sein Dienstausweis, in dem „Sobibór“ vermerkt war, und da waren deutsche Staatsanwälte, die jetzt endlich gründlich zu ermitteln begannen. Im März 2009 kam Demjanjuk in Deutschland an, ausgewiesen von den USA. Sein Prozess in München hat gleich mehrfach Rechtsgeschichte geschrieben. Zum einen, weil erstmals einer der ausländischen Helfer der Nazis vor Gericht stand, zum anderen, weil das Verfahren ohne einen individuellen Mordvorwurf begann, mit der Begründung, jeder der Männer in Sobibór habe zwangsläufig gemordet. Fünf Jahre Haft: So lautete das Urteil im letzten Jahr. Für Demjanjuk öffneten sich damit paradoxerweise die Gefängnistore. Weil eine Revision vor dem Bundesgerichtshof anstand, entschied der Richter, ihn freizulassen. Seit vergangenem Jahr verbrachte John (Iwan) Demjanjuk in einem oberbayerischen Pflegeheim. Dort ist er am Samstag 91-jährig gestorben.

Ob er der letzte Nazitäter war, dem der Prozess gemacht wurde? Ermittlungen gegen weitere mutmaßliche Kriegsverbrecher sind im Gange. KLAUS HILLENBRAND