Flüchtlingsboot sinkt vor Italien

KATASTROPHE Über 130 Passagiere ertrunken. Der Kutter geriet in Brand und kenterte

■ „Wir haben ein Recht auf Leben“: Mehrere Dutzend Menschen aus Syrien blockieren seit einigen Tagen eine Zufahrt zur Fähre im Hafen von Calais, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen und eine Aufnahme in Großbritannien zu fordern.

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben endeten im Tod: Über 130 Menschen sind in der Nacht zum Donnerstag im Meer vor der italienischen Insel Lampedusa ertrunken, nachdem ihr völlig überfüllter Kutter in Brand geriet und kenterte. Auf dem Boot sollen sich bis zu 500 Passagiere befunden haben. Etwa 150 wurden bis zum Donnerstagnachmittag gerettet.

Nach ersten Informationen war das Boot von der libyschen Küste mit Flüchtlingen überwiegend aus Eritrea und Somalia gestartet; darunter etwa 30 Kinder und zahlreiche Frauen. An Bord sei Feuer entfacht worden, um auf das in Seenot befindliche Schiff aufmerksam zu machen, berichteten Gerettete.

Zwei italienische Fischkutter, die in diesem Gebiet kreuzten, eilten zur Hilfe und alarmierten die Küstenwache. Mindestens zwei andere Fischtrawler sollen ihre Fahrt einfach fortgesetzt haben – obwohl sie sich nach Aussage von Geretteten in unmittelbarer Nähe der Unglücksstelle befanden. „Es ist ein Horror, eine enorme Tragödie“, sagte die Bürgermeisterin von Lampedusa, Giusy Nicolini, auf der Mole der Insel im Angesicht der dort zunächst notdürftig aufgebahrten Leichen, „sie bringen immer mehr Tote“.

Innenminister Angelino Alfano und die Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Laura Boldrini, wollten noch am Donnerstag an den Unglücksort fahren. Boldrini war bis Ende 2012 Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Rom.

Italien erlebt damit die zweite Flüchtlingstragödie binnen weniger Tage: Erst am Montag waren vor Siziliens Südküste 13 Menschen in unmittelbarer Nähe des rettenden Strandes ertrunken. Ihr Boot war auf Grund gelaufen, die Besatzung hatte die Passagiere mit Peitschenhieben ins Wasser getrieben, obwohl viele nicht schwimmen konnten.

Im Jahr 2013 versuchten deutlich mehr Menschen als in den Jahren zuvor, über das Mittelmeer nach Italien zu gelangen. Viele landeten auf Lampedusa, andere schafften es bis nach Sizilien. Noch in der Unglücksnacht auf Donnerstag traf ein weiteres Schiff mit 463 Menschen auf Lampedusa ein. Die geografische Lage südwestlich von Sizilien, auf halber Strecke von der Küste Nordafrikas aus, hat die rund 20 Quadratkilometer große Insel in den vergangenen Jahren zum ersten Ziel solcher Flüchtlingsboote werden lassen. Insgesamt werden seit Anfang des Jahres in Italien etwa 23.000 Flüchtlinge gezählt, die meisten aus Eritrea und Somalia, gut 3.000 kamen aus Syrien. Den Schleusern müssen die Passagiere für die lebensgefährliche Überfahrt auf Seelenverkäufern meist Unsummen zahlen. In Rom herrscht nun allgemeines Entsetzen; Papst Franziskus, der im Juli – bei der ersten offiziellen Reise nach seinem Amtsantritt – Lampedusa besucht und dort der gestrandeten und ertrunkenen Flüchtlinge gedacht hatte, erklärte am Donnerstag: „Es ist eine Schande!“, und forderte dazu auf, für die Toten zu beten.

Nur die fremdenfeindliche Lega Nord sucht mit der Tragödie ihr Süppchen zu kochen: Ein Sprecher erklärte ungerührt, Parlamentspräsidentin Laura Boldrini und die aus dem Kongo stammende Integrationsministerin Cecile Kyenge hätten die Opfer „auf dem Gewissen“, weil sie mit ihrem Eintreten für eine offene Aufnahmepolitik die Flüchtlinge geradezu anstachelten.

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