Gefährliche Abwärtsspirale

GELDPOLITIK In Griechenland wird alles billiger, und in Deutschland lohnt es sich nicht mehr zu sparen. Neun Fragen und Antworten

VON ULRIKE HERRMANN

Neuerdings sinken in Griechenland die Preise. Warum ist dies interessant?

Es markiert eine Wende. Bisher sind die Preise in Griechenland immer noch gestiegen – trotz Krise. Jetzt setzt die Deflation ein. Das griechische Statistikamt meldete in dieser Woche, dass die Preise im November um 2,9 Prozent gefallen seien im Vergleich zum Vorjahr. Dies ist der größte Absturz seit 1960, als die Aufzeichnungen begannen.

Wieso fallen die griechischen Preise jetzt?

Es ist ein gewisses Rätsel, warum die Deflation so spät einsetzt. Denn seit 2008 sind die griechischen Löhne um knapp 30 Prozent gefallen. Wenn die Gehälter sinken, sinken auch die Kosten der Firmen. Gleichzeitig haben die Arbeitnehmer weniger Geld, um einzukaufen. Theoretisch hätten also die Preise viel früher fallen müssen. Doch offenbar hält sich die Realität nicht an die Theorie. Volkswirte haben dafür den Begriff der stickiness (Klebrigkeit) geprägt. Auch in anderen Krisenländern wie Spanien oder Portugal ist zu beobachten, dass die Preise bisher stabil geblieben sind, obwohl die Gehälter nachgeben. Die einsetzende Deflation in Griechenland signalisiert, dass auch in den anderen Krisenländern der Moment gekommen sein könnte, dass die Preise fallen.

Sinkende Preise erhöhen doch die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer. Warum ist die Europäische Zentralbank plötzlich panisch?

Was stimmt: Sinkende Preise steigern die Exportchancen. Wenn die Hotels in Griechenland billiger werden, dürfte die Zahl der auswärtigen Touristen zunehmen. Daher wurde von den Krisenländern verlangt, dass sie ihre Arbeitsmärkte flexibilisieren und die Löhne senken. Die Deflation war also gewollt. Die Gefahren werden erst jetzt gesehen: Bei einer Deflation ist es fast unmöglich, Kredite zurückzuzahlen. Denn die Umsätze sinken, während die Höhe des Darlehens gleich bleibt. Bereits jetzt wird vermutet, dass in den Bankbilanzen faule Kredite von etwa einer Billion Euro lagern. Dies wird künftig noch schlimmer. Gleichzeitig schrumpft die Wirtschaft weiter, weil niemand mehr investiert, wenn die Preise fallen.

Aber die Krisenländer müssen doch wettbewerbsfähig werden! Wie soll dies gelingen, ohne dass die Preise fallen?

Wettbewerbsfähigkeit ist ein relativer Begriff. Die Krisenländer würden auch konkurrenzfähiger, wenn sie ihre Preise konstant hielten – und es in starken Euroländern wie Deutschland eine Inflation von etwa 4 Prozent gäbe. Ein solches Szenario schlägt der IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard vor. Doch stattdessen dümpeln die Preise auch in Deutschland – bei sensationell niedrigen 1,3 Prozent.

Könnte die Deflation auch auf Deutschland überspringen?

Diese Gefahr ist nicht groß, aber nicht auszuschließen. Denn eine Deflation kann schnell außer Kontrolle geraten – unter anderem durch die Wechselkurse. Es ist ein Teufelskreis nach unten: Sinkende Preise erhöhen die Kaufkraft, eine höhere Kaufkraft führt zur Aufwertung des Euros. Dadurch werden wiederum die Importe billiger, sodass die Preise weiter fallen.

Die EZB hat ihre Leitzinsen bereits auf 0,25 Prozent gesenkt. Was kann sie noch tun, um eine Deflation zu verhindern?

Da die Zentralbank nicht mehr direkt an der Zinsschraube drehen kann, bleiben ihr nur noch indirekte Maßnahmen. So könnte sie in großem Maßstab Staatsanleihen aufkaufen und sogenanntes quantitative easing betreiben, wie es die amerikanische Notenbank Fed vormacht. Der Chefsvolkswirt der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, hat in dieser Woche prognostiziert, dass die EZB schon im nächsten Jahr Anleihen erwirbt. Diese Vorhersage ist nicht besonders gewagt, denn im November hat EZB-Chefvolkswirt Peter Praet in einem Interview gesagt: „Wenn man den Leitzins einmal bei null hat, dann muss man quantitative Maßnahmen ergreifen. Das muss aber kein Anleiheprogramm sein, das können auch Geldspritzen an die Banken sein.“

Wenn die EZB Anleihen aufkauft und Geld druckt – kommt dann die Inflation?

Wahrscheinlich nicht. Denn die Zentralbank ist ziemlich machtlos. Selbst wenn sie die Banken mit Geld flutet, heißt dies noch lange nicht, dass die Banken mehr Kredite vergeben. Das Kalkül ist schlicht: Solange die Wirtschaft schrumpft, sinken die Firmenumsätze und die Arbeitslosigkeit steigt. Es wäre also Wahnsinn, Darlehen zu vergeben, weil sie wahrscheinlich nicht zurückgezahlt würden. Also horten die Banken lieber ihr Geld, was zu einer paradoxen Situation führt: Die Zentralbank druckt zwar Geld, aber es kommt in der Realwirtschaft nicht an. Die Deflation geht weiter.

Wenn die EZB machtlos ist – was könnte helfen?

Da die „Geldpolitik“ der Zentralbank ausgereizt ist, muss der Staat einspringen und „Fiskalpolitik“ betreiben. Die Krisenländer benötigen Konjunkturprogramme, um die Wirtschaft anzukurbeln und die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Gleichzeitig müsste die Bundesrepublik eine höhere Inflation zulassen, indem die deutschen Löhne steigen. Obwohl es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Eingeschränkte Leiharbeit und hohe Mindestlöhne wären die beste Europapolitik, die Union und SPD betreiben könnten. Leider wurde diese Chance im Koalitionsvertrag verschenkt.

Wenn sich die Deflation verschärft – was bedeutet dies für die deutschen Sparer?

Nichts Gutes. Bei fallenden Preisen könnte man zwar mit der gleichen Geldsumme mehr kaufen – und hätte eine hübsche reale Rendite. Nur leider würde dieses Glück nicht lange anhalten. Der Hauptgrund: Eine Deflation zeigt immer an, dass die Wirtschaft in einer extremen Krise ist. Zudem stockt die Kreditvergabe, weil es nicht möglich ist, Darlehen zurückzuzahlen, wenn die Preise fallen. Wenn aber niemand einen Kredit will, können die Banken mit den Spareinlagen nichts mehr anfangen und würden versuchen, weitere Zuflüsse zu vermeiden. Die Banken könnten also Gebühren erheben, wenn sie Geld verwalten. Verkehrte Welt: Statt Zinsen hätten die Sparer dann Kosten.