DAS RECHT DES JUSTIZMINISTERS
: Gnade dir, Gallardón

REINER WANDLER

AUS SPANIEN

Spanien hat ein 144 Jahre altes Gesetz, das dem Justizministerium das Recht einräumt, Verurteilte zu begnadigen. Der konservative Justizminister Alberto Ruiz Gallardón macht reichlich Gebrauch davon. Allein in dieser Legislaturperiode wurden mehr als 800 rechtskräftig Verurteilten ihre Strafen per Dekret ganz oder teilweise erlassen. Es geht vor allem um Korruption und Straftäter mit guten Beziehungen zur regierenden Partido Popular (PP).

Die letzte Begnadigung galt dem Sohn eines konservativen Lokalpolitikers. Der junge Beamte der Polizeitruppe Guardia Civil bestieg mit einem Freund einen Nahverkehrszug im nordspanischen Asturien. Die beiden setzten sich neben eine 60-jährige Frau. Während der Polizist mit dem Handy filmte, begann sein Freund die Passagierin sexuell zu belästigen. Trotz ihres Alters würde sie ihn erregen, sagte er und beschrieb, an welche sexuellen Praktiken er so denke. Gleichzeitig fasste er ihr zwischen die Beine. Der junge Polizist hielt mit dem Handy drauf und lachte sich krank. Als ein weiterer Passagier einschritt, schlugen sie ihn und flüchteten. Das Justizministerium hob die Geldstrafe und die sechsmonatige Suspendierung vom Dienst auf.

Besonders gerne werden Politiker, die sich in Zeiten des Baubooms ihre Taschen füllten, mit Begnadigung bedacht. 2012 waren es von 33 Verurteilten sechs, die dank Gallardón die Strafe nicht antreten mussten. Vier davon gehörten der PP an. Hohe Beamte, die in die Staatskasse griffen, erfreuen sich ebenso der Sonderbehandlung wie Bauunternehmer, die gegen allerlei Auflagen verstoßen. So der zu drei Jahren verurteilte Präsident des Fußballvereins UD Las Palmas, Miguel Angel Ramírez Alonso. Er wurde begnadigt, nachdem er 50.000 Euro an Gallardóns PP spendete.

Der großzügige Umgang mit Verurteilten aus dem Staatsapparat oder der Wirtschaftselite gilt nicht nur für Gallardón, sondern auch für seine Vorgänger, egal welcher Couleur. Seit dem Jahr 2000 wurde 200 wegen Korruption verurteilten Politikern die Strafe erlassen. Polizeibeamte, die der Folter und Misshandlung schuldig befunden wurden, wurden ebenso begnadigt wie Unternehmer oder Banker.

Das Justizministerium kann allerdings auch anders. So wird derzeit gegen rund 300 Gewerkschafter ermittelt, die während verschiedener Ausstände an Streikposten teilgenommen hatten. Darunter befinden sich acht Betriebsräte und Vertrauensleute des Airbus-Werkes vor den Toren Madrids. Die Staatsanwaltschaft fordert für jeden von ihnen acht Jahre und drei Monate Haft, weil sie währende eines Generalstreiks den Zugang zum Werk blockierten.

In vier der 120 Fällen kam es bereits zu Verurteilungen. Im südspanische Granada sollen zwei Mitglieder der größten Gewerkschaft des Landes für jeweils drei Jahre hinter Gitter. Sie hätten die Rechte der Arbeiter verletzt, in dem sie Arbeitswillige davon abhalten wollten, den Arbeitsplatz zu betreten. In Asturien wurden zwei Arbeiter der öffentlichen Schwimmbäder zu jeweils drei Jahren verurteilt. Die beiden Schwimmlehrer hatten während eines Streiks rote Farbe und Seife in ein Becken gekippt. Trotz Zehntausender Unterschriften, die von Minister Gallardón eine Begnadigung fordern, reagiert dieser bisher nicht.