Alle AKWs sind jetzt erst mal abgeschaltet

JAPAN Gut ein Jahr nach der Katastrophe von Fukushima läuft in Japan kein AKW mehr. Und es gibt starke Kräfte, die diesen Zustand beibehalten wollen. Regierung und Atomlobby gehören gewiss nicht dazu

AUS TOKIO MARTIN FRITZ

Japan hat sich von der Atomkraft verabschiedet. Eher unbeabsichtigt und nur vorübergehend. Aber seit der Abschaltung von Reaktorblock 3 des Kraftwerks in der Stadt Tomari auf der Hauptinsel Hokkaido am Samstag produziert Japan kein einziges Watt Atomstrom mehr. Noch vor 14 Monaten kamen 27 Prozent des Stroms aus Nuklearenergie.

Die Befürworter der Atomenergie in Japan müssen parallel einen zweiten Schlag hinnehmen: Der Fukushima-Betreiber Tepco hat sich nach monatelangem Widerstand staatlicher Kontrolle unterstellt. Für eine Kapitalspritze von 9 Milliarden Euro erhält der Staat die Mehrheit der Stimmrechte und kann nun die Strategie von Japans größtem Stromkonzern beeinflussen. Damit verliert die Atomlobby ihren Eckpfeiler. Tepco soll sich ganz auf seine Sanierung konzentrieren. Für Lobbyarbeit bleiben da weder Geld noch Kraft.

Der geschrumpfte Einfluss der Lobby lässt sich daran erkennen, dass der angestrebte Neustart der Meiler bisher nicht gelungen ist. Die Regierung wollte die Bevölkerung mithilfe von Stresstests von der Sicherheit der Anlagen überzeugen. Auf der Basis von Computerberechnungen hatten die Atomaufsicht und die Nuklearkommission zwei Blöcke der Anlage Oi in der Präfektur Fukui für sicher erklärt. Sie würden einer Katastrophe wie im März 2011 standhalten, hieß es. Aber die Strategie ging nicht auf. Das Unbehagen an den offiziellen Sicherheitsversprechen hat im Bürgermeister von Osaka, Toru Hashimoto, einen Fürsprecher gefunden. Seit einiger Zeit attackiert der 42-Jährige verkrustete Strukturen und egoistische Lobbys – von der Lehrergewerkschaft bis zur Atomindustrie.

Erneuerbare Energie

Jetzt benutzt der aufstrebende Politiker den drohenden AKW-Neustart als Sprungbrett in die nationale Politik. Es sei falsch, dass Politiker ein Atomkraftwerk für sicher erklärten, meinte Hashimoto mit gutem Gespür für die Volksstimmung. In einem acht Punkte umfassenden Katalog verlangte der Reformer von der Regierung neue Sicherheitsvorschriften und eine bessere Krisenvorsorge. So müssten Betreiber mit allen Präfekturen in 100 Kilometer Entfernung von den Atomkraftwerken Sicherheitsverträge abschließen. Außerdem soll die Endlagerung der Nuklearabfälle geklärt werden. Würde Premier Yoshiko Noda die Liste akzeptieren, wäre jeder Weiterbetrieb der Meiler für lange Zeit unmöglich.

Hashimoto ist entschlossen, die Atomindustrie an die Kandare zu nehmen. Auf der Hauptversammlung des Stromversorgers Kansai Electric Power (Kepco) im Juni wird der Politiker die Stilllegung aller elf Atomkraftwerke des Konzerns beantragen. Erneuerbare Energien sollen den Nuklearstrom ersetzen und der Region Osaka zu neuem Wirtschaftswachstum verhelfen.