Tausende demonstrieren gegen Putin

RUSSLAND In Moskau marschieren erstmals auch Kommunisten mit. Opposition weiter ohne Strategie

MOSKAU taz | „Wenigstens müssen wir uns nicht schämen“, sagt ein Teilnehmer der Großdemonstration der Opposition in Moskau. Demonstranten und Veranstalter hatten im Vorfeld befürchtet, die Protestaktion, die unter dem Banner „Marsch der Millionen“ läuft, würde nur noch wenige Personen anziehen. Stattdessen waren am Samstag im Zentrum nach unterschiedlichen Angaben wieder zwischen 50.000 und 100.000 Demonstranten unterwegs.

Erstmals nahm auch die Kommunistische Partei Russlands an einem Protestmarsch teil. Das soziale Spektrum des Widerstandes hat sich damit erweitert. Im Dezember waren es vor allem die gebildeteren städtischen Mittelschichten gewesen, die Empörung und moralische Entrüstung auf die Straße trugen.

Die Schlussresolution der Demonstration stellte zum ersten Mal neben politischen auch soziale Forderungen. Der oppositionelle Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow kritisierte, dass der Kreml die für Bildung vorgesehenen Gelder in den Rüstungssektor und den Ausbau des Sicherheitsapparates umgeleitet habe. Auch die Studentenschaft der Moskauer Hochschulen stellte diesmal einen eigenen Block. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Oppositionsbewegung eine Strategie fehlt. Viele Gegner des Putin-Regimes sind daher über die Arbeit der Opposition enttäuscht.

Im Oktober plant die Bewegung, durch landesweite Wahlen im Internet als ersten organisatorischen Schritt einen oppositionellen „Koordinationsrat“ wählen zu lassen. „Die Leute gehen auf Demonstrationen wie zur Arbeit“, sagt der 40-jährige Unternehmer Andrei. „Aus Pflichtgefühl, nicht aus Spaß. Wir dürfen dem Kreml nicht das Gefühl vermitteln, Sieger zu sein.“ Der Einfallsreichtum der „kreativen Klasse“ – der Mittelschicht – hat nachgelassen. „Wir wünschen uns einen Präsidenten, der die Menschen in unserem Land zum Lächeln verleitet“, stand auf einem Plakat. Für etwas Buntheit sorgten Ballons, die den Masken der drei in U-Haft sitzenden Punkerinnen von Pussy Riot nachempfunden waren. „Russland ohne Putin“ war die häufigste Parole, die angestimmt wurde. Ein bisschen müde klang sie aber schon. KLAUS-HELGE DONATH

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