Überraschendes Urteil zu Lasten der Frauen

FRANKREICH Wer seine gefährlichen Brustimplantate nach Warnung durch die Behörden vorbeugend ausgetauscht hat, soll dafür selbst bezahlen, urteilt ein Gericht in Marseille. Anwalt geht in Berufung

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Fast die Hälfte der rund 30.000 Trägerinnen von PIP-Brustimplantaten in Frankreich haben bereits ihre defekten oder potenziell undichten Silikonkissen operativ ersetzen lassen. Das hatten ihnen die französischen Gesundheitsbehörden im Dezember 2011 dringend angeraten, nachdem der Schwindel mit gesundheitsschädlichem Industriesilikon der Firma PIP geplatzt war. Die Betroffenen gingen davon aus, dass ihnen wenigstens die Kosten für diesen Austausch der Implantate vergütet würden. Der damalige Gesundheitsminister Xavier Bertrand hatte gesagt, dass alle Auslagen der Frauen übernommen würden, die nach einer Brustkrebsoperation solche PIP-Implantate erhalten hatten (etwa 20 Prozent der Betroffenen) und hatte den anderen ein Entgegenkommen durch Minimaltarife in Aussicht gestellt. Alle rechneten in Frankreich mit einer Vergütung durch die staatliche Krankenversicherung, denn letztlich hatte doch die öffentliche Aufsicht versagt.

Ganz anders sieht dies ein Gericht in Marseille. Es hat entschieden, dass eine „präventive“ Entfernung der PIP-Produkte nicht zwingend notwendig sei, es sei denn, es liege ein defektes Implantat mit negativen Auswirkungen vor. Folglich sollen die Frauen, die aus Angst vor Problemen die PIP-Kissen ersetzen ließen, die Kosten für den Ersatz und die Operation selber tragen. Philippe Courtois, der die Interessen von 2.800 betroffenen Frauen vertritt, hat Berufung gegen diesen Entscheid eingelegt. Die Bestätigung des Urteils wäre ein schwerer Rückschlag für Tausende von Französinnen, die seinen Worten zufolge in zweifacher Hinsicht Opfer des PIP-Betrugs würden. Er befürchtet negative Folgen für den Strafprozess, der im April gegen PIP-Gründer Jean-Claude Mas und vier Mitglieder der Firmenleitung in Marseille stattfinden soll.