Bürgermilizen gegen Drogenkartelle

MEXIKO Bewaffnete Selbstverteidigungsgruppen übernehmen Städte und Gemeinden im Kampf gegen die Drogenmafia. Zu sehr sind Polizei und Verwaltung mit den Kartellen verstrickt. Doch es gibt Bedenken

AUS MEXIKO-STADT WOLF-DIETER VOGEL

Die Auseinandersetzungen zwischen Bürgermilizen und der Mafia in Mexiko haben einen neuen Höhepunkt erreicht. Bewaffnete Selbstverteidigungsgruppen halten seit Samstag das Rathaus der Stadt Tancítaro im Bundesstaat Michoacán besetzt, um die Gewalt der Kartelle einzudämmen. Unterstützt von großen Teilen der Bevölkerung kontrollieren sie auch weitere Dörfer in der Region. Die örtliche Polizei musste sich zurückziehen. Neun Mitglieder des Kartells „Die Tempelherren“ seien getötet worden, berichtete Milizen-Anführer José Manuel Mireles. Außerdem sind bei den Schusswechseln zwei Landarbeiter gestorben. Um zu verhindern, dass die Bewaffneten weitere Gemeinden einnehmen, patrouillieren seit Montag Armee und Bundespolizei rund um Tancítaro.

Seit einem Jahr organisieren sich in Mexiko immer mehr Bürgerinnen und Bürger in autonomen bewaffneten Gruppen, weil sie von den Sicherheitskräften keinen Schutz erwarten können. Schließlich arbeiten viele Polizisten, Soldaten und Politiker direkt mit den Kartellen zusammen. Und während die Kriminellen früher in erster Linie untereinander um Schmuggelrouten und Drogenanbauflächen stritten, richten sich die Angriffe inzwischen immer öfter gegen die Bevölkerung: Schutzgelderpressungen, Raubüberfälle und Entführungen nehmen ständig zu. Die Offensive vom Wochenende sei in Gang gesetzt worden, nachdem zwei junge Mädchen entführt und ermordet worden seien, erklärte Mireles.

Michoacán zählt zu den gefährlichsten Gebieten Mexikos. Regelmäßig entsendet die Bundesregierung Soldaten in den Bundesstaat. Anfang November besetzte die Armee die Hafenstadt Lázaro Cárdenas, die als Drogenumschlagplatz gilt, ohne die Kriminalität eindämmen zu können. Auch deshalb sind die Bürgermilizen in dieser Gegend besonders präsent. Allein in der Region Tierra Caliente, in der Tancítaro liegt, kontrollieren sie nach eigenen Angaben 19 Landkreise. Ende Oktober zogen Tausende ihrer Mitglieder in die Provinzhauptstadt Apatzingán. Offenbar als Antwort auf diesen Aufmarsch verübten die Tempelritter Anschläge auf Tankstellen und legten die Stromversorgung großer Teile Michoacáns lahm.

„Ganze Familien flüchten vor der Gewalt und der Unsicherheit, in der wir leben“, erklärt der Bischof von Apatzingán, Miguel Patiño Velázquez. Selbst die Landesregierung stünde im Sold der Tempelherren, der Zetas oder anderer Mafia-Organisationen, vermutet der Geistliche. Michoacán habe alle Charakteristika eines gescheiteren Staates, resümierte er und zeigt Verständnis für die Selbstverteidigungsgruppen.

Dennoch sind die Bürgermilizen umstritten. Gerade in Michoacán seien einige von ihnen selbst mit der Mafia verstrickt, kritisiert Luis Hernández Navarro von der linken Tageszeitung La Jornada. Im Gespräch mit der taz verwies er auf die Gefahr einer weiteren „Paramilitarisierung Mexikos“. Dieses Risiko sieht auch Abel Barrera vom Menschenrechtszentrum Tlachinollan aus dem Bundesstaat Guerrero. Allerdings betont er, dass das Konzept einer autonomen Gemeindepolizei in Guerrero seit 17 Jahren erfolgreich praktiziert und angesichts der eskalierenden Kriminalität nun in ganz Mexiko aufgegriffen werde. Im Vordergrund stehe nicht das Tragen von Waffen, betont Barrera, „aber ein sichereres Leben ist am ehesten dort möglich, wo Menschen auf der Grundlage gegenseitigen Respekts ihre Dörfer selbst kontrollieren“.