WAS MACHT EIGENTLICH ... Helga Goetze?
: Nie mehr für Frieden ficken

Helga Sophia Goetze wusste ganz genau, was sie vom Leben will: „Ich interessiere mich nur fürs Ficken“, antwortete sie auf die Frage, was sie umtreibe. Fragen musste sie sich oft lassen, schließlich stand sie seit 1983 als Ein-Frau-Mahnwache an der Gedächtniskirche, mit einer Fahne: „Ficken macht friedlich“. Die ältere Frau im bestickten Umhang liebte es, Passanten zu provozieren. „Frauen sind zugestopfte Löcher!“, schrie sie ihnen hinterher. Oder: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge – scheiß Väter!“

Von ihrer wütenden Protest-Performance hielten Goetze weder Bußgelder und Polizeigewahrsam noch ein Zwangstest in der Bonhoeffer-Nervenklinik ab. Am Ende ließ die Polizei sie gewähren, Sexualwissenschaftler erklärten sie zur „primären Tabubrecherin“. Und der Regisseur Rosa von Praunheim widmete ihr einen Film.

Erst spät, aber dafür umso heftiger trat die Rebellion in das Leben der gebürtigen Magdeburgerin. 46 war sie und mit Ehemann Curt auf Silberne-Hochzeits-Reise in Palermo, als sie die Lust an der körperlichen Liebe entdeckte. Nicht mit dem Ehemann, dessen Penis sie in 30 Ehejahren nicht einmal gesehen hatte, der ihr dennoch sieben Kinder beschert hatte. Sondern mit der Urlaubsbekanntschaft Giovanni, mit dem sie ein Jahr lang mit Curts Verständnis das nachholte, was dieser versäumt hatte. Aber nachholen reichte Goetze nicht. Sie suchte per Kontaktanzeige Männer für Sex, trennte sich vom Ehemann, zog in eine Schwulen-WG und praktizierte in der berüchtigten Kommune des Wiener Aktionskünstlers Otto Muehl die freie Liebe. Aus der frustrierten Ehefrau wurde eine Kunstaktivistin, die mit gestickten und gemalten Bildern die sexuelle Unterdrückung von Frauen anprangerte. In ihrer Charlottenburger Wohnung richtete sie eine „Genitale Universität“ ein, einige ihrer Stickbilder schenkte sie der Collection de l’Art Brut in Lausanne. „Wer was von mir will, müsste eigentlich mit mir ficken“, fand Helga Goetze noch mit 75.

Letzten Sommer musste sie nach einem Schlaganfall ihren Posten an der Gedächtniskirche verlassen und in ein Pflegeheim bei Hamburg ziehen. Am 29. Januar starb sie. Hoffentlich in Frieden. API
FOTO: H. FLOSS