SPIELPLÄTZE (6)
: Flagge zeigen ohne Flagge

FUSSBALLGUCKEN Uruguay gegen Südafrika im „Freiball“ in Potsdam

■  Ort: Friedrich-Engels-Str. 22, Potsdam, 10 Gehminuten vom Hauptbahnhof. Alle Spiele, kein Eintritt.

■  Sicht: Ordentlich. 3-mal-4-Meter-Leinwand, davor Bierbänke, Liegestühle und hinten eine Mini-Tribüne. Nachmittagsspiele bei Sonne bisher schwierig – wird jetzt aber mit Planen nachgebessert.

■  Kompetenz: Vor allem unter den anwesenden Babelsberg-Fans groß, generell eher unaufgeregtes Spielverfolgen.

■  Nationalismus: null. Interkulturelle Fairness ist Konzept.

■  Wurst: Bratwurst, Boulette, Gemüsespieß: 1 Euro. Daneben gibt‘s Suppen für 1,50 Euro – und Rex Pils (0,4 Liter) für 2 Euro. Gewinne gehen an Soli-Projekte. KO

Dass hier was anders läuft, zeigt sich schon am Eingang. „Kein Eintritt für Personen, die der rechten Szene zuzuordnen sind“, steht da mit schwarzem Edding auf grünem Schild gekritzelt. Drinnen geht das so weiter: ein „Fahnenparkplatz“ vor den Dixi-Klos, ein „gegen Rassismus“-Plakat am Bauzaun. Und am Grillstand gibt’s neben Bratwurst auch iranische Gemüsesuppe. So hat man sich das vorgestellt: „Freiball“, alternatives Public Viewing in Potsdam, gar nicht weit vom Hauptbahnhof.

Rund 80 Potsdamer und ein Mops verteilen sich am Mittwochabend auf den Bierbänken. Vorne auf der Leinwand, umrankt von Laubbäumen: Uruguay gegen Südafrika. Nationaltrikots, Fahnen oder sonstige Fan-Devotionalien trägt hier niemand. Stattdessen: Kapuzenpullover, Kordjacken, Selbstgedrehte. Die Stimmung ist zurückgelehnt, Fangesänge gibt’s keine. Die Sympathien aber gelten klar Südafrika. Grummlige Stille, als Uruguay das 1:0 erzielt. Lautes Stöhnen beim 2:0. Erst beim gezauberten 3:0 gibt’s anerkennendernApplaus. So viel uruguayische Bolz-Virtuosität wird belohnt. Nur der Mops starrt vor sich hin.

Es geht fair zu. Das ist Konzept. Ein Public Viewing ohne unangenehme Begleiterscheinungen, ohne übersteigerten Nationalismus wolle man bieten, sagt Achim, ein junger Typ mit pinkem Unterhemd unter der grau-schwarzen Weste. Schon im Vorfeld baten die Freiballer, Nationalfahnen jeglicher Couleur doch einfach zu Hause zu lassen. Prompt schmähte die lokale Junge Union die Alternativler als „verklemmt“, „kleinkariert“ und „intolerant“. Jeder habe das Recht, eine Fahne zu schwenken.

„Ach, die Junge Union“, sagt Achim. Natürlich wolle man hier niemanden ausgrenzen, ganz im Gegenteil. Man habe nur einfach keinen Bock auf nationaltrunkenes Rumgepöbel. Trotzdem werde kein schwarz-rot-gold-geschminktes Kind nach Hause geschickt. Und jeder dürfe seine Flagge nach dem Ende des Spiels ja wieder vom Fahnenparkplatz abholen.

Am Mittwochabend ist dieser ohnehin verwaist. Nur drei Deutschlandfahnen, zwei arg zerknäult, liegen da, noch vom Australien-Spiel. 600 Leute waren dabei vor Ort – Rekord. Und das ohne Vuvuzelas. Die sind hier nämlich ebenfalls nicht erlaubt. „Zu laut“, sagt Achim. Zu prollig, meint er wohl.

Kapuzenpullover, Kordjacken, Selbstgedrehte. Die Stimmung ist zurückgelehnt, Fangesänge gibt’s keine

Das Freiball-Publikum steht in der Halbzeit lieber am Kickertisch. Ist ja für lau. Am Wochenende soll auch die Hüpfburg wieder stehen, Bewohner des Asylbewerberheims wollen vorbeikommen und kochen. Am Mittwochabend schickt DJ Badda-Boom Reggae über die Boxen – während auf der Leinwand Delling und Netzer auf stumm gedreht plaudern.

Für das Freiball-Team ist die WM in Südafrika nur die Quali. Wenn alles glatt läuft, gehört den Veranstaltern – ein Potsdamer Sammelsurium aus Jugend- und Kulturvereinen sowie SV-Babelsberg-Fans – noch dieses Jahr das ganze jetzige Public-Viewing-Grundstück, ein früheres Wasserwerk-Areal. Dann soll hier ein großes Jugendzentrum entstehen. Ein alternatives. Ätsch, Junge Union. KONRAD LITSCHKO