Plötzlich war die Faust im Gesicht

PROZESS Ein Polizist steht wegen Prügelns vor Gericht. Für die Übergriffe gibt es Augenzeugen. Das Opfer – ein weiblicher Fan des FC St. Pauli – war anfangs selbst angeklagt. Die Frau wurde freigesprochen

Nasenbeinbruch, vier Zähne abgesplittert, Gesichtsprellungen – als die 29-jährige Anne H. von einem Freund ins Krankenhaus gebracht wurde, schickte das Klinikpersonal den Mann erst mal vor die Tür. „Die dachten, ich habe sie zugerichtet“, erzählt der Freund am Dienstag auf dem Flur des Kriminalgerichts Moabit. Im Gerichtssaal muss sich der mutmaßliche Täter verantworten: Es ist ein Polizeibeamter der 21. Einsatzhundertschaft.

Es hat lange gedauert, bis es zu diesem Prozess gekommen ist. Wie oft bei Polizeiübergriffen wurde zunächst nicht der Beamte angeklagt, sondern das Opfer. Anne H. ist Fan des FC St. Pauli. Der Vorfall hat sich am 15. April 2010 nach einem Fußballspiel zwischen dem 1. FC Union und St. Pauli ereignet. Nahe dem Stadion An der Alten Försterei, wo St. Pauli an diesem Tag unterlag, hatten sich Fans des Hamburger Vereins an einer Tankstelle für den Heimweg noch mit Bier versorgt. Mit einer Flasche in der Hand habe sie an der Tankstelle versucht, einen Streit zwischen einem St.-Pauli-Fan und einem Polizisten zu schlichten, erklärte Anne H. am Dienstag als Zeugin vor Gericht.

Der nunmehr wegen Körperverletzung im Amt angeklagte 44-jährige Beamte Marcus von P. habe ausgesprochen aggressiv gewirkt. Deshalb habe sie den Fan weggezogen. Scheinbar sehr zum Missfallen des Polizisten. „Auf jeden Fall hatte ich dann die Faust im Gesicht.“ Wenig später habe sie der Beamte noch zweimal geschlagen.

Auf einem Videofilm eines St.-Pauli-Fans ist zu sehen, wie Anne H. – Arme auf dem Rücken verdreht, Kopf nach unten gedrückt – von zwei Beamten abgeführt wird. Für die Schläge gibt es mehrere Augenzeugen. Nicht nur St.-Pauli-Fans wurden am Dienstag gehört. Auch fünf Polizisten. Einer von ihnen – es war der an der Festnahme beteiligte Beamte E. – bezichtigte den angeklagten Kollegen eines Faustschlages. Bereits im Prozess gegen Anne H., der vor einem Jahr mit Freispruch endete, war E. Zeuge gewesen. Da hatte er aber noch ausgesagt, Anne H. habe versucht, P. zu würgen. Allerdings bedurfte es auch diesmal mehrmaliger Nachfragen seitens des Richters, bis E. bekannte: „Einen Grund für den Schlag gab es nicht.“ Der Prozess wird am 2. Dezember fortgesetzt.

PLUTONIA PLARRE