100 Tage Rot-Schwarz: Die Analyse: Die Planlosen

Seit gut drei Monaten ist die Koalition aus SPD und CDU im Amt. Die meisten Senatoren fallen bisher nicht auf. Und große politische Ziele fehlen.

Haben gerne mal Spaß miteinander: Die sich äußerlich durchaus ähnlichen starken Männer der Koalition, Klaus Wowereit (SPD) und Frank Henkel (CDU). Bild: dpa

Eine „Kapitulation vor der Zukunft“ sei die neue Regierungskoalition. Eine „ganz schlechte Botschaft“, eine „ausgemachte Katastrophe“, ja ein „Treppenwitz der Geschichte“. Jedenfalls: Der neue Senat werde „schwere Folgen für alle Berlinerinnen und Berliner“ zeitigen.

Die, die dieses Urteil fällten, waren Berliner Christdemokraten – Ende 2001. Da hatte sich gerade erstmalig eine rot-rote Koalition in der Stadt zusammengefunden.

Wie sich die Zeiten ähneln. Was war nicht alles befürchtet worden, als im vergangenen Oktober Klaus Wowereit die CDU zum Regierungspartner erwählte? Bleierne 90er-Jahre-Politik, dazu ein konservativer Backlash: kassierte Deeskalationsstrategie der Polizei, Gängelung von Arbeitslosen, Vorfahrt für Autofahrer, Autonomenhatz.

Passiert ist davon bisher – nichts. Wie auch sonst wenig passiert ist in den ersten 100 Tagen von Rot-Schwarz in Berlin. Man könnte das erleichtert konstatieren. Die Folge aber könnte kaum misslicher für diese Stadt sein: Denn Rot-Schwarz verheißt Stillstand.

Von einer Zweckgemeinschaft war die Rede, als die SPD nach den abgeschmierten Gesprächen mit den Grünen die CDU zum Partner erwählte. Hatte Rot-Rot noch den Anspruch formuliert, den Osten der Stadt mit dem Westen zu versöhnen, ließ sich für Rot-Schwarz partout kein gemeinsames Projekt finden. Konsequenterweise verzichtete der zum dritten Mal wiedergewählte Wowereit in seiner Regierungserklärung auf hochtrabende Visionen: Er strich sie gleich ganz.

Stattdessen wurde Naheliegendes – „starke Wirtschaft“ und „sozialer Zusammenhalt“ – zum Schwerpunkt erkoren. Das Dumme ist nur: Nicht mal das ist Rot-Schwarz ansatzweise angegangen. Unternehmer zeigen bisher eher Distanz zu Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz (parteilos). Was Berlin für seine 228.000 Arbeitslosen zu tun gedenkt, bleibt nebulös. Vom Förderprogramm „Berlin-Arbeit“ vernimmt man nur den Streit über die Bezahlung von Jobmaßnahmen. Und beim gesetzlichen Mindestlohn blockieren sich CDU und SPD gegenseitig.

Gleiches gilt beim Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger, beim Widerstand gegen den Asylgewahrsam in Schönefeld oder beim Wählen ab 16. Die SPD ist eigentlich dafür, die CDU nicht – und grätscht rein. Am Ende bleibt’s und wird als Kompromissfähigkeit gepriesen. Nur: Im Resultat bleibt Stillstand.

Die einzigen Schimmer von Visionen beruhen auf zwei Großprojekten. Der Eröffnung des neuen Großflughafens Schönefeld im Juni, die mit 5.000 neuen Arbeitsplätzen einhergehen soll. Und die neue, 270 Millionen Euro schwere Landesbibliothek auf dem Tempelhofer Feld. Beider Strahlkraft dürfte aber schnell verblassen, handelt es sich doch um Funktionsbauten, die das Stadtleben kaum nachhaltig befruchten werden.

Dabei böten sich Chancen für Visionen! Ein geradezu prädestinierter Platz dafür ist ein anderes Flughafengelände: das demnächst geräumte in Tegel. Was könnte sich der Senat hier austoben, eine Leerfläche bespielen, ein buntes Zukunftsquartier entwerfen. Er tut es nicht. Schnell wird die vorrangige Haushaltskonsolidierung angeführt.

Doch was hindert Rot-Schwarz, eine neue, direktdemokratische Mitmachkultur anzustoßen? Diese Vision gäbe es zum Nulltarif. Oder, eine Nummer kleiner, endlich die überhöhten Wasserpreise zu senken, wozu die Rüge des Bundeskartellamts seit Wochen eine Steilvorlage bietet? Man solle abwarten, sagte Wowereit dieser Tage. Der neue Senat stehe ja noch am Anfang. Okay. Nur worauf soll diese Stadt warten, wenn keine Leitideen formuliert sind?

Nach 100 Tagen steht der so nicht erwartbare Befund, dass man bisher im Grunde nicht bemerkt, dass nicht mehr Rot-Rot, sondern Rot-Schwarz regiert. Alles läuft irgendwie so weiter. Die CDU-Anhängerschaft dürfte begeistert sein, sich nicht einmal mehr von der missgeliebten Linkspartei zu unterscheiden.

Es passt ins Bild, dass die meisten Impulse bisher einer setzte, der sich außerhalb rot-schwarzer Parteidogmatik bewegt: Thomas Heilmann. Der Werbeexperte räumte als erste Amtshandlung gleich mit dem peinlichsten Kapitel der Koalition auf: den Schrottimmobiliengeschäften, in denen auch Elf-Tage-Senator Michael Braun (CDU) verwickelt gewesen sein soll. Heilmann ist immerhin einer, der etwas will. Gleiches kann man vielleicht noch bei Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) und seinen Mieten-Initiativen erkennen. Was aber will Henkel? Scheres? Oder von Obernitz? Das ist völlig unklar.

Der Senatoberste, Klaus Wowereit, sieht seinen Job mit der geglückten Wiederwahl als vorerst für erfüllt an – und belässt’s wieder beim Repräsentieren. Wowereit in Paris, Wowereit beim Papst im Vatikan. Die Schrottimmobilien-Affäre von Braun? Der Regierende schaute nur zu. Was Wowereit gerade wichtig ist, was er Konkretes plant: Man weiß es nicht.

Und auch ein anderer Plan scheint ihm zu fehlen: der seiner Machtübergabe. Denn wenig spricht dafür, dass der 58-Jährige den Chefsessel erst am Ende der Legislatur räumt. Im nächsten Jahr sitzt die SPD wohl in der Bundesregierung und darf Posten vergeben. Wowereit ist zu ambitioniert, um wie sein Rheinland Pfalz-Kollege Kurt Beck als Dauerpatriarch zu enden. Ole van Beust ging nach neun Jahren im Amt, Peter Müller nach elf, Roland Koch nach zehn. Wowereit regiert seit nunmehr elf Jahren.

Und der Berliner SPD wiederum dürfte viel daran liegen, zur Wahl 2016 nicht mit einem Unbekannten anzutreten, wie es selbst der designierte Thronfolger Müller für die meisten Berliner noch ist. Müller steht zudem bei der SPD-Basis nicht allzu hoch im Kurs. Andere Kandidaten sind nicht zu sehen. Planlosigkeit allerorten.

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