Keine Beweise für die Reitgerte

URTEIL Gericht verhängt Geldstrafen gegen zwei Erzieherinnen, die Kinder misshandelt haben

Die Heimleitung überließ den beiden ihre Sachen – darunter mögliche Beweismittel

Eine letzte Botschaft will Ina O. noch loswerden, bevor das Landgericht sie – wegen gefährlicher Körperverletzung – verurteilt: Sie bedauert, dass sie sich nicht von den Mädchen verabschieden konnte, „nach sieben Jahren intensiver Arbeit“.

Das klingt makaber angesichts der Vorwürfe, welche die 42-Jährige und ihre zwei Jahre ältere Kollegin Claudia R. vor Gericht brachten. Von September 2008 bis Februar 2009, so die Anklage, sollen sie sechs Heimkinder zwischen fünf und vierzehn Jahren nicht nur geschlagen, geschubst, getreten und angebrüllt, sondern auch mit Reißzwecken und Spritzen gestochen sowie mit einer Reitgerte traktiert haben. Ein zwölfjähriges Mädchen soll von der 44-Jährigen mit dem Kopf ins Badewasser gedrückt worden sein, bis es keine Luft mehr bekam. Dieselbe Erzieherin soll die Hand des Kindes auf eine heiße Herdplatte gedrückt haben.

Seit vergangener Woche hörte das Gericht etliche Zeugen, aus deren Aussagen deutlich wurde: Den Kindern war Gewalt angetan worden. Doch was genau war passiert? Als die Vorwürfe im Frühjahr 2009 publik wurden, rief die Heimleitung nicht sofort die Polizei, sondern übergab den beiden suspendierten Angestellten ihre persönlichen Sachen, darunter mögliche Beweismittel. Außerdem unterhielt man sich mit den Kindern, um die Vorwürfe abzuklären – nicht mit jedem einzeln, sondern mit allen zusammen. Ein völlig unprofessionelles Verhalten, wie sich im Prozess herausstellte.

Sprachen die Kinder anfangs nur von Schlägen, steigerten sie die Schwere der Vorwürfe im Laufe der Zeit. Könnten sie diese schweren Vorwürfe erfunden haben, als sie realisierten, dass sie ihre Peinigerinnen nicht mehr fürchten mussten? Zunächst sagten sie wohl die Wahrheit – allen Zeugen war aufgefallen, wie devot und verschüchtert die Kinder waren, wie sie mit Strafen seitens der Angeklagten rechneten.

Dennoch war die Situation verfahren. Darum entschloss sich das Gericht, die Vorwürfe auf das Realistische zu beschränken und den Kindern die Aussage zu ersparen. Es bot den Angeklagten eine milde Geldstrafe für das Geständnis an, ihren Zöglingen zwölf (Ina O.) bzw. zehn Mal (Claudia R.) „leichte Schläge mit der flachen Hand“ verpasst zu haben, „um sie zu disziplinieren“. Ina O. muss 2.750 Euro (110 Tagessätze) zahlen, Claudia R. 3.000 Euro (100 Tagessätze).

Die weitaus größere Strafe erhalten die beiden Frauen nicht von der Justiz, sondern von der Presse: Als ihre derzeitigen Arbeitgeber von den Vorwürfen erfuhren, erhielten beide die Kündigung. Eine neue Anstellung werden sie in diesem Bereich schwer finden: Geldstrafen von über 90 Tagessätzen stehen im Führungszeugnis. UTA EISENHARDT